Resilienz kommt von dem lateinischen Wort “resilire” und das bedeutet “zurückspringen”, “abprallen”. Stellen Sie sich selbst als Stehaufmännchen vor. Sie besitzen so die Fähigkeit, Ihre aufrechte Haltung aus jeder beliebigen Lage wieder einzunehmen. Am besten stellen Sie sich als Stehaufmännchen in einer unsichtbaren Schutzhülle vor. Negative Einflüsse von außen, Belastungen, Angriffe prallen einfach ab oder werden zumindest abgemildert. So lassen Sie sich von widrigen Lebensumständen nicht unterkriegen. Sie können kreativ und flexibel in Krisen reagieren, in denen andere sich hilflos fühlen. Belastungen erleben Sie eher als Herausforderung denn als unlösbares Problem oder nicht zu bewältigende Krise. Aus Krisen gehen Sie gestärkt und gereift heraus.
Resilienz oder psychische Widerstandsfähigkeit ist also die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen und sie als Anlass für Entwicklung zu nutzen. Resiliente Menschen greifen dazu auf persönliche und soziale Ressourcen zurück. Eine spannende Grundlage der Resilienzforschung sind Langzeitstudien mit Kindern (Kauai-Studie), die unter sehr schwierigen Bedingungen groß geworden sind. Zu diesen erschwerten Bedingungen gehörten Armut, Alkohol- und Gewaltprobleme in der Familie. Die spannende Frage war: Wie kommt es, dass einige dieser Kinder als Erwachsene dennoch ein erfolgreiches Leben führten (stabile Beziehungen, Berufstätigkeit, gute körperliche und psychische Gesundheit) während andere dieser Kinder als Erwachsene im Leben scheiterten (Alkohol, Straftaten, psychische und körperliche Erkrankungen, scheiternde Beziehungen)? Worin unterscheiden sie sich? Das war die Geburtsstunde der Resilienzfaktoren. Die Studie kristallisierte nämlich Fähigkeiten und Persönlichkeitsmerkmale heraus, die die Erfolgreichen von den Gescheiterten unterschied. Und die Studie zeigte auch: Diese Fähigkeiten können erlernt werden, auch wenn sie einem nicht in die Wiege gelegt wurden.
Viele von uns verfügen grundsätzlich über diese schützenden Fähigkeiten – damit wir sie in einer Krise bewusst und aktiv nutzen können, müssen sie uns aber auch präsent sein. Deshalb nachfolgend die wichtigsten Resilienzfaktoren:
Optimismus: “Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man etwas schönes bauen” oder: Auch aus einer Krise kann in der Zukunft etwas Gutes entstehen. Mit Optimismus ist nicht gemeint, dass Sie mit einer rosaroten Brille durch das Leben spazieren. Es geht eher um eine Grundhaltung, gerade in schwierigen Situationen darauf zu vertrauen, dass es wieder besser wird. Und dass es immer irgendetwas Positives gibt, worauf wir unsere Wahrnehmung richten können.
Akzeptanz: Veränderungen sind ein Teil des Lebens. Resiliente Menschen akzeptieren das Unvermeidbare und passen sich veränderten Situationen an. Ein schönes Bild ist der Fluss, der nicht gegen sie Steine im Wasser kämpft, sondern geschmeidig um sie herumfließt. In meiner therapeutischen Praxis trainiere ich mit Klient/innen häufig den Dreierschritt aus der buddhistischen Praxis “Wahrnehmen – Akzeptieren – Loslassen”. Wahrnehmen: Ich nehme die Situation wahr, wie sie ist – ohne Verleugnung oder rosa Einfärbung. Akzeptieren: Ich sage “Ja” zu mir und meinem Leben – so wie es ist. Loslassen: Ich lasse los und gehe weiter. Ich nutze meine Kraft für die Dinge, die ich verändern kann.
Emotionssteuerung: Früher dachte man, Gefühle und Gedanken hätten nichts miteinander zu tun. Die Intellektuellen um Kant dachten komplizierte Gedanken, das Fußvolk fühlte … 🙂 . Heute sind wir zum Glück ein paar Schritte weiter … und wissen: Gefühle und Gedanken sind eng miteinander verflochten. Emotionen haben immer auch eine kognitive Seite. Was wir fühlen hängt maßgeblich davon ab, wie wir eine Situation gedanklich bewerten. Stellen Sie sich einen Mann vor, der abends darauf wartet, dass seine Frau aus dem Büro nach Hause kommt. Es ist 21:00 Uhr. Normalerweise kommt sie immer um 19:00 Uhr. Was er fühlt, hängt davon ab, was er denkt: “Hoffentlich ist ihr nichts passiert” – Angst, “Sie macht Überstunden. Prima, dann haben wir mehr Geld und ich kann mir vielleicht doch ein neues Smartphone kaufen.” – Freude, “Sie hat es schon wieder nicht geschafft, pünktlich Schluss zu machen und ich musste nach einem langen Tag auch noch die Kinder allein ins Bett bringen.” – Ärger, “Hat sie nicht so begeistert von einem neuen Kollegen erzählt …” – Eifersucht, Verlustangst. Covid-19 mit allen Folgen für uns – wie es uns damit geht, hängt ganz entscheidend von unserer Bewertung ab. Machen Sie sich Ihre Gedanken bewusst und wenn es belastende Gedanken sind: Überlegen Sie, ob es eine andere Sicht auf die Situation gibt.
Empathie: Sich in andere einfühlen können (und wollen) ist eine Basiskompetenz wenn es um soziale Beziehungen geht. Ohne Einfühlungsvermögen ist Beziehung nicht möglich. Wir alle brauchen aber das Gefühl der Kooperation, Zusammengehörigkeit und des wertschätzendes Kontaktes miteinander – gerade in Krisenzeiten. Es ist beeindruckend, wie sehr die Menschen gerade trotz Kontaktverbot zusammenrücken – sich solidarisieren, einander helfen und sich gegenseitig ermutigen. Empathie hilft aber auch die eigene Situation zu relativieren. Können wir uns z.B. in syrische Flüchtlinge in überfüllten Lagern einfühlen, dann fällt es uns schwer unter Covid-19 von “Lagerkoller” zu sprechen. Wir sehen die Einschränkungen und Sorgen mit denen wir gerade konfrontiert in einem anderen Licht. Genauso wichtig ist Empathie für uns selbst. Wenn eine Alleinerziehende gerade im Home-Office arbeitet, finanzielle Sorgen hat und dazu noch die Kinderbetreuung stemmen muss ist es wichtig, dass sie ihre Überlastungssituation sieht, fühlt und anerkennt. Sie wird sich sonst weder Hilfe suchen noch ihre Ansprüche an sich selbst senken.
Netzwerkorientierung: Resiliente Menschen ziehen sich in einer Krise nicht zurück, sondern suchen aktiv den Kontakt zu anderen, um sich auszutauschen und um sich gegenseitig zu unterstützen. Pflegen Sie gerade jetzt ihre Kontakte! Ein Hoch auf das Internet, dass dies heutzutage auch ohne sich real zu begegnen möglich ist. Vielen tut jetzt ein netter Gruß, ein Kompliment, ein schönes Foto gut. Überlegen Sie, wer jetzt Ihre Unterstützung benötigen könnte und bieten Sie selbst Ihre Hilfe an. Gemeinsam schaffen wir es!
Impulskontrolle: In Krisenzeiten steigt der innere Stress – sei es durch Ängste, Sorgen, Probleme die es zu bewältigen gilt oder zusätzlich unter Corona durch die Kontaktsperre. Mit dem Steigen des Stresspegels sinkt unsere Fähigkeit, unser Verhalten zu kontrollieren. Wir alle kennen das – wir schreien dann unsere Kinder an, lassen unseren Frust an unserem Partner aus oder an dem Mitmensch im Supermarkt, der uns trotz Abstandsregel zu nahe kommt. Und wir alle wissen – es hilft nicht, sondern macht die Situation noch schlimmer. Was hilft? Wichtig ist, unseren steigenden Stresspegel möglichst früh zu bemerken. Dann ist es uns noch möglich, in Alternativen denken und unser Verhalten zu kontrollieren. Zum Beispiel: Wenn Ihre Kinder Sie zum zweiten Mal im Home-Office stören und Sie merken, dass Sie unter Druck kommen – Innehalten – Was ist jetzt hilfreich? Was braucht es jetzt? – Eine wirklich klare Ansage an die Kinder? – Vielleicht eine Pause, in der die Kinder Aufmerksamkeit bekommen? – Eine Runde frische Luft für alle? – Ein Anruf bei Ihrer Chefin, dass das Arbeitspensum bei gleichzeitiger Kinderbetreuung nicht zu schaffen ist? Wichtig ist, dass Sie das Lenkrad in der Hand behalten, bevor ihr angeborener Autopilot im Gehirn das Steuer übernimmt. Denn wenn der Autopilot vom Stresspegel die Info “Gefahr in Verzug” erhält, kennt der keine Rücksicht auf Verluste … dann geht es biologisch ums Überleben. Auch wenn es real “nur” darum geht, eine Aufgabe nicht termingerecht zu beenden.
Die Opferrolle verlassen: Manche Krisen wie die Corona-Pandemie kommen ohne unser Zutun über uns. Dies gilt auch für die Maßnahmen, die die Regierung zur Bekämpfung der Pandemie ergreift. Ob wir sie nun angemessen finden oder nicht – wir haben keinen Einfluss. Resiliente Menschen sehen sich dennoch nicht in einer Opferrolle, sondern sie setzen sich aktiv mit der bestehenden Situation auseinander und versuchen, sie zu ihren Gunsten zu verändern. O.k., die Kinder sind gerade den ganzen Tag zuhause – dann mache ich das Beste daraus und nutze die Chance jetzt viel Zeit für Kontakt und Beziehung zu haben. Ich kann mich grad nicht meinen Freunden treffen – was kann ich stattdessen tun, was oft zu kurz kommt? Ich musste mein Unternehmen schließen und habe Angst, das finanziell nicht zu verkraften – o.k. daran kann ich gerade nichts ändern, aber vielleicht kann ich die Zeit nutzen für Qualitätssicherung, Weiterbildung und eine Weiterentwicklung meines Betriebs. Damit sind wir bei einem weiteren Resilienzfaktor: Verantwortung übernehmen. Für die Situation wie sie ist, kann ich nichts. Aber ich und nur ich bin verantwortlich, wie ich mit der Situation umgehe. Und hier sind wir dann auch schon ganz nahe bei last but not least dem letzten Resilienzfaktor, der
Lösungs- und Zukunftsorientierung: Im Grunde ist hier die Haltung gemeint, in jeder Herausforderung eine Chance zu erkennen … und damit diese Chance auch eine Chance hat … unsere ganze Kraft, Zeit und Energie zu investieren. Dann ist unsere kleine Welt … und vielleicht auch die eine große Welt nach Corona noch schöner und reicher. Vielleicht nicht reicher an Geld, aber reicher an Gemeinschaftsgefühl, reicher an Delfinen in den Häfen, reicher an frischer klarer Luft, reicher an tiefen Eltern-Kind-Beziehungen, reicher an Entschleunigung … .
In diesem Sinne: Auf einen aktiven, selbst bestimmten und gemeinsamen Umgang mit Corona! Alles wird gut 🙂 Gemeinsam schaffen wir es!
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