Die Frage ist: Können Lesben und Schwule überhaupt gute Pflegeeltern abgeben? Ist das Kindeswohl bei dieser Zielgruppe gut aufgehoben?
Was uns im Rahmen unserer Bemühungen, ein Pflegekind bei uns aufzunehmen, begegnet ist:
Kinder brauchen ein männliches Rollenvorbild; Pflegekinder sind sowie schon anders als andere Kinder – sie sollen sich jetzt nicht dadurch noch mehr unterscheiden, dass sie bei homosexuellen Pflegeeltern aufwachsen (“doppelte Stigmatisierung”); Pflegekinder haben das Vertrauen in Frau und Mann verloren – ergo brauchen sie Frau und Mann um dieses Vertrauen wieder aufzubauen; lesbische Pflegeeltern könnten zu wenig männlich konnotierte Erfahrungswelten vermitteln; … oder etwas weniger intellektuell – der Dokumentation der Fachtagung entnommen – “Was zwei erwachsene Männer in ihren eigenen vier Wänden machen, ist mir egal. Aber dass bei denen Kinder aufwachsen, das kann doch nicht sein, das geht zu weit” (S. 8).
Für Dr. Pascal Belling vom Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit (NRW) “handelt es sich im Kern nicht um das Kindeswohl – obwohl dies vordergründig gerade so aussieht! -, sondern es geht um Unkenntnis und Ignoranz, was gleichgeschlechtliche Lebensweisen betrifft und um Phantasien und Ängste, was sich in lesbischen und schwulen Partnerschaften eigentlich abspielt” (S.8). An dieser Stelle möchten wir gerne ergänzen: Es geht auch um Unkenntnis und Ignoranz, was kindliche Grundbedürfnisse betrifft. Was braucht ein Kind, um sich zu einem seelisch gesunden Erwachsenen zu entwickeln? Was braucht ein Kind, um eine stabile (Geschlechts)Identität und ein flexibles Geschlechtsrollenverhalten zu entwickeln? Hat ein Pflegekind, das vielleicht seinen biologischen Vater nie gesehen hat, wirklich das Vertrauen in den Mann (was auch immer damit gemeint ist) verloren? Was braucht ein Kind, das Vertrauen in Frau und Mann verloren hat? Frau und Mann, um wieder Vertrauen zu gewinnen? Oder vielleicht einfach feinfühlige, geduldige, liebevolle, stabile und zuverlässige Menschen die dem Kind helfen, Vertrauen in andere Menschen, in sich und die Welt zu gewinnen? Was sind Anforderungen an gute Pflegeeltern? Welche Voraussetzungen sollten sie mitbringen?
Zurück zur Fachtagung. Für Hr. Dr. Pascal Belling ist “die Beschäftigung mit der Frage, ob Lesben und Schwule überhaupt gute Eltern abgeben können, ob das Kindeswohl bei dieser Zielgruppe gut aufgehoben ist, in Wirklichkeit eine Stellvertreterdiskussion”. Dahinter stehe seines Erachtens etwas ganz anderes. “Nämlich die Gretchenfrage: Was ist meine ureigenste Haltung gegenüber Homosexualität”. Weiter äußert er die Ansicht “dass, wenn Sie in Ihrem Arbeitsalltag mit der Fragestellung “dient das Leben / die Unterbringung bei homosexuellen Eltern dem Wohl des Kindes” konfrontiert werden, dass es dann in aller Regel nicht mit einer rein sachlich-fachlichen Faktenvermittlung oder mit nüchternem Fachwissen getan ist, sondern dass vielmehr so etwas wie eine grundlegende Aufklärungsarbeit zum Abbau von Vorurteilen von Nöten sein wird” (S.9).
Das Leben bei gleichgeschlechtlichen orientierten Pflegeeltern dient ganz ausdrücklich dem Kindeswohl und auch dem Wohl der Gesellschaft.
Dies ist Ergebnis vieler Studien und Erfahrungen und wurde auf der Fachtagung von mehreren Referenten und Referentinnen zum Ausdruck gebracht.
Hier Beispiele für potenziell positive Auswirkungen gleichgeschlechtlicher Pflegeelternschaft:
“Das Leben bei gleichgeschlechtlich orientierten Eltern fördert die soziale Kompetenz von Pflege- und Adoptivkindern … weil lesbische Mütter und schwule Väter erwiesener Maßen eine positive Beziehung zu ihren Kindern aufbauen, eine stabile Umwelt für sie bereit stellen, eine hohe Responsivität (d.h. Reaktion auf kindliche Signale) aufweisen und in ihren Erziehungsmaßnahmen kindzentriert sind und vor allem weil Lesben und Schwule ihre Kinder zu Empathie und Toleranz erziehen”
(Belling, S. 15).“Kinder können Respekt, Sympathie und Toleranz gegenüber dem mulitkulturellen Umfeld, in dem andere leben, lernen”. (Belling, S.15)
“Sie haben die Chance unterschiedliche Interpretationen des Geschlechtsrollenverhaltens zu erleben und sie haben die Freiheit, in persönlichen und intimen Beziehungen egalitäre Rollen zu entwickeln.” (Belling, S. 15)
“Sie können ein Verständnis dafür entwickeln, dass Familien nicht nur auf biologischen Beziehungen sondern vielmehr auf Liebe, eigenen Lebensentwürfen und freier Wahl basieren können”. (Belling, S.15)
“Die größte Gabe, die homosexuelle Eltern ihren Kinder geben können, ist die Chance, in einem gleichberechtigten Elternhaus aufzuwachsen und ein Bewusstsein für den Wert von Differenz vermittelt zu bekommen.” (Studie der London School of Economics, zitiert von Belling, S.15)
“Unsere Tochter wächst in einem Lebensumfeld auf, in dem sie eine Vielfalt von Lebensformen erfahren kann. Sie lernt anhand unseres Modells, dass man sich aus vielen Möglichkeiten von Rollen und Neigungen einen ganz individuellen Rahmen gestalten kann, der am besten zu einem passt.” (Frau Janto, lesbische Mutter einer 4jährigen Tochter, S. 23)
“Kinder aus Regenbogenfamilien sind für den Umgang mit Vorurteilen gut gerüstet und können ein besonders gutes Stigmamanagement entwickeln, was ihnen auch in vielen anderen Lebenssituationen hilft”. (Karola Berlage und Stefan Meschig, S. 27)
Und last but not least profitiert auch die GESELLSCHAFT von gleichgeschlechtlichen Pflegeeltern:
“Familie verändert sich. Das alte Bild von Vater, Mutter, Kind, Kind verliert mehr und mehr seinen Leitbildcharakter. Mit dem Wandel der Geschlechterrollen, der Emanzipation wird die Familie bunter.” (Markus Schnapka, Landesrat)
“Regenbogenfamilien tragen dazu bei, dass unsere Welt vielfältig und bunt bleibt” (Karola Berlage und Stefan Meschig)
“Regenbogenfamilien tragen gesamtgesellschaftlich zu einer Aufwertung sozialer Elternschaft bei” (Karola Berlage und Stefan Meschig, S. 27)
Für Interessierte hier der Link zur gesamten Dokumentation der Tagung: www.lvr.de/jugend/fachthemen/zentr.+adoptionsstelle/
dokumentationgleichgeschlechtliche.pdf
Landesjugendamt (NRW)
Fachtagung der Zentralen Adoptionsstelle
03.07.2002
Gleichgeschlechtliche Paare leben mit Kindern – auch mit Pflege- und Adoptivkindern?
Herausgeber:
Landschaftsverband
Dezernat 4
Zentrale Adoptionsstelle
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