Anfang Mai nahm ich an einer Weiterbildung  von Familylab „Vom Gehorsam zur Verantwortung – Beziehungskompetenz im pädagogischen Alltag“ in München teil. Dort durfte ich Karen Reitz-Koncebovski kennenlernen. In der Vorstellungsrunde erzählte sie, dass sie Mitglied einer Gruppe sei, die sich regelmäßig trifft, um pädagogische Themen in Verbindung mit Beziehungskompetenz und eigene Persönlichkeitsentwicklung zu diskutieren. Das hat mich neugierig gemacht. Bei einem gemeinsamen Abendessen erzählte sie mir von ihrem Buch „Edelsteine ans Licht bringen“[1]. Auf der Grundlage des Bahá´itums reflektiert sie in diesem pädagogische Fragen und setzt diese in Bezug zu den Ideen bekannter Pädagog/innen wie Rebecca Wilde, Jesper Juul, Maria Montessori und Remo Largo. Praxisbezogenes Ziel ihres Buches ist die Begründung eines Schulprojektes in der Nähe von Greifswald. So formuliert Karen Reitz-Koncebovski anstelle eines Nachwortes auch einen „Schulethos“ – ethische Grundsätze als Wertebasis für eine Schule, in der nicht inhaltliche Aspekte im Vordergrund stehen sollen, sondern das tägliche Miteinander im „Lebensraum“ Schule, die Qualität der Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden und die Prozesse des Lernens und Lehrens.

Der „Schulethos“ hat Karin und mich inspiriert, ein Leitbild für unsere Familie zu formulieren. Wir haben gemerkt, dass einem das so ein bischen fehlt, wenn man wie wir keiner Religion angehört. Nicht die Werte fehlen, sondern ihre Verschriftlichung, ihre Kultivierung sowie eine Verpflichtung dazu.

Hierzu – zu dem, was Atheisten von den Religionen lernen können – auch ein spannender Ted-Talk von Alain de Botton Atheism 2.0 .

Jetzt aber erst mal unser Familienleitbild:

Familienleitbild der KaSuNoMa_s

Die Basis der KaSuNoMa__s ist die Beziehung zwischen Karin und Susanne. Dieser Beziehung gebührt besondere Beachtung und Pflege. Im Alltag nehmen wir uns Zeit für einen regelmäßigen Austausch. Uns ist es wichtig, zu erfahren, wie es jeder geht, was jede beschäftigt und bewegt.  Auch ist uns wichtig, Situationen in unserem (Beziehungs)Alltag gemeinsam zu reflektieren und unser Miteinander weiterzuentwickeln. Insbesondere „wenn alles aus dem Ruder läuft“, besinnen wir uns auf unsere Basis – unsere Beziehung – arbeiten an ihr, nehmen uns Zeit dafür.

Wir entscheiden uns dafür, als ganze Menschen füreinander da zu sein [1]– dafür, mit all unseren Vorstellungen, Gedanken, Bestrebungen, mit unseren Gefühlen, mit unseren Grenzen, und durchaus auch mit unseren Eigenheiten füreinander spürbar zu sein. Es ist uns wichtig, wirklich „da“ und „authentisch“ zu sein, so dass ein echter persönlicher Kontakt zustande kommt   – sowohl im Kontakt mit den Kindern als auch zwischen uns Erwachsenen.

Allen KaSuNoMa_s gebührt die gleiche Würde[2], Erwachsenen ebenso wie den Kindern. Wir tun nichts, was den anderen verletzt, erniedrigt, beschämt oder ihm/ihr Angst macht. Wenn uns das nicht gelingt, dann übernehmen wir die Verantwortung und entschuldigen uns und/oder machen unser Fehlverhalten wieder gut. Dabei helfen die Erwachsenen den Kindern und die Erwachsenen helfen sich gegenseitig:

  • zu verstehen, warum sie sich so verhalten haben (welches Bedürfnis war verletzt, welche Gefühle hat das ausgelöst, was hätten sie vom anderen gebraucht …)
  • wahrzunehmen, dass ihr Verhalten die Würde des anderen verletzt hat
  • eine Idee davon zu bekommen, wie sie ihre Gefühle und Bedürfnisse hätten anders ausdrücken können – wie sie ihre Grenzen vertreten können, ohne die Integrität eines anderen zu verletzen
  • eine Form der Widergutmachung / Entschuldigung zu finden, die aus dem Herzen kommt und für alle Beteiligten o.k. ist

Dem zugrunde liegt die Haltung: Jeder darf Fehler machen[3], denn Fehler sind ein notwendiger Bestandteil eines jeden Lern- und auch Entwicklungsprozesses.

Die Erwachsenen tragen die Verantwortung[4]

  • für die Qualität des Umgangs miteinander
  • für die und der Wahrung der gleichen Würde persönlichen Integrität der Einzelnen
  • für die Gestaltung einer Umgebung, die die Werte unserer Familie verkörpert und die für die Entwicklung aller KaSuNoMa_s förderlich ist
  • für die Führung im Alltag
  • dafür, den Kinder in Lebensführung, Selbstfürsorge und  Beziehungsgestaltung zu anderen Vorbild zu sein

Die Kinder tragen – ebenso wie die Erwachsenen – die persönliche Verantwortung für sich selbst[5]. Dazu gehört auch die Verantwortung für ihren individuellen Lernprozess.

In punkto Lernen und Persönlichkeitsentwicklung sind uns folgende Dinge wichtig:

Jeder von uns darf und soll „mit eigenen Augen sehen[6], nicht mit denen anderer. Jeder darf und soll durch die eigene Erkenntnis Wissen erlangen, nicht durch die (seines) Nächsten“. In der Begleitung der Kinder sind wir zurückhaltend mit Erklärungen und Belehrungen. Wissen vermitteln wir nur dann, wenn die Kinder danach fragen. Wir tragen Sorge für ein anregungsreiches Umfeld, in dem die Kinder selbstgesteuert und forschend ihren Interessen nachgehen können. Wir gestehen den Kindern altersangemessene Autonomie zu und einen weiten Spielraum. Dieser Spielraum ist begrenzt durch die Bedürfnisse anderer Menschen und durch den notwendigen Schutz vor Gefahren. In diesem Spielraum dürfen die Kinder ausprobieren, testen, herausfinden, und es darf „schief“ gehen.  Auch die Erwachsen haben in der Familie die Möglichkeit, das was sie bewegt und beschäftigt zu vertiefen.

Es geht uns darum, in einer rasch sich verändernden Welt auf neue Fragen neue Antworten zu suchen und zu finden und damit die Gegenwart und  Zukunft mit Mut und Umsicht bewusst zu gestalten.[7]

In Bezug auf die Entwicklung der Kinder ist uns Erwachsenen wichtig, ihnen Zeit zu lassen und die Dinge dann zu lernen, wenn sie „reif“[8] dafür sind. Wir gehen davon aus, dass die Entwicklung eines Kindes von innen gesteuert ist und einem bestimmten inneren Plan folgt – ein „innerer Fahrplan“, der weiser ist als alle Lehrpläne und Entwicklungstabellen, die noch so kluge Erwachsene sich ausgedacht haben. Unsere Aufgabe als Erwachsene sehen wir darin, zu beobachten, wo ein Kind in seiner Entwicklung steht, wahrzunehmen, was es aus sich heraus tut, es dabei zurückhaltend zu unterstützen und es in nichts hineindrängen, wozu es noch nicht bereit ist.

Wir sind verschieden – und das ist wunderbar![9] Vielfalt bereichert! Jeder von uns hat besondere Eigenarten, Fähigkeiten und Begabungen. Wir können es nicht schöner ausdrücken als Martin Buber: „In jedermann ist etwas Kostbares, das in keinem anderen ist. Mit jedem Menschen ist etwas Neues in die Welt gesetzt, was es so noch nicht gegeben hat, etwas Ernstes und Einziges … Dieses Einzige und Einmalige ist es, was jedem vor allem auszubilden und ins Werk zu setzen aufgetragen ist, nicht aber, noch einmal zu tun, was ein anderer, und sei es der größte, schon verwirklicht hat …“.[10] Uns gegenseitig zu unterstützen, dieses Einzige und Einmalige auszubilden und ins Werk zu setzen – das ist unser Begehren.

Dazu schenken wir unsere Aufmerksamkeit den Stärken, positiven Eigenschaften, Fähigkeiten, Begabungen und Bestrebungen, nicht den Mängeln und Fehlern. [11]

Miteinander leben erfordert Achtsamkeit[12]. Das bedeutet für uns z.B.

  • Ganz „Da“, ganz im „Hier und Jetzt“, ganz „im Augenblick“ sein – mit all unsern Sinnen.
  • Uns selbst auf eine nicht bewertende Weise wahrnehmen und „Ja“ zu uns sagen: „Ja, das bin ich – jetzt in diesem Moment“. „Ja, das gehört – auch – zu mir“. Etwas davon mitteilen, damit wir den anderen ein greifbares und spürbares Gegenüber sind.
  • Den anderen unsere Aufmerksamkeit schenken – Aufmerksamkeit,  die nicht einordnet, bewertet und interpretiert  sondern Aufmerksamkeit, die erfährt, erlebt, voller Neugierde und offen ist für alles Wunderbare im Anderen. „Ja, das bist Du“.
  • Den anderen einladen, sich auszudrücken (dann, wenn sie reden wollen) und wirklich zuhören.
  • Wahrnehmen, was wir selbst und was die anderen in diesem Augenblick wirklich brauchen und dafür Sorge tragen.
  • Uns auf die Zeit der Kinder und auf unsere Eigen-Zeit einzustellen. Das aber heißt: Geduld lernen oder auch Langsamkeit. Es heißt, uns der Schnelllebigkeit der Welt entgegenzustellen.
  • Achtsamkeit bedeutet explizit nicht: immerwährende Harmonie! Wir begrüßen ausdrücklich den Ausdruck des gesamten Gefühlsspektrums. Zu einem lebendigen Miteinander und zu echten Beziehungen gehört auch, dass wir mal ärgerlich sind, mal enttäuscht voneinander, mal genervt …. Zu einem lebendigen Miteinander gehört, dass wir auch mal schuldig aneinander werden, dem anderen mit seinen Bedürfnissen und Verletzlichkeiten nicht gerecht werden. Kurz: Zu einem lebendigen Miteinander gehören Konflikte – das Aufeinanderprallen unterschiedlicher Interessen, Bedürfnislagen, Geschichten …. . Wichtig ist uns, dass wir immer wieder Wege zueinander suchen und finden.  Im Kontakt mit den Kindern liegt die Verantwortung hierfür bei den Erwachsenen.
  • Achtsamkeit erfordert eine innere Verpflichtung dazu, tägliche Übung, Energie und Konzentration auf das Wesentliche.

Im Dienste dieser Konzentration auf das Wesentliche und im Dienste der Nachhaltigkeit entscheiden wir uns für eine achtsame Lebensführung:

Wir essen sehr wenig Fleisch und wenn, dann ausgewählt, aus artgerechter Haltung. Somit sind wir Flexitarier mit Tendenz zum Vegetarier. Vegane Ernährung schauen wir uns an experimentieren damit. Wir kaufen so wenig verarbeitete Produkte wie möglich und wenn, dann bewusst und im Bewusstsein „das ist Luxus“ (Fleisch, Wurst, Käse …). Ein wöchentlicher Speiseplan erleichtert zum einen ein bewusstes Einkaufen. Zum anderen ermöglicht das allen KaSuNoMa_s Mitbestimmung: jeder darf sich ein Gericht in der Woche wünschen. Zudem dient der Speiseplan, der beim Essensplatz hängt als Orientierung. Wir gehen gerne essen, aber wenn, dann geplant und gezielt. Ansonsten nehmen wir, wenn wir unterwegs sind, Getränke und Essen mit. Essensituationen dienen in unserer Familie der gesunden Nahrungsaufnahme (wir betrachten unseren Körper als Tempel der Seele) und der Gemeinschaftspflege und werden in diesem Sinne gepflegt und gestaltet.

Bezüglich Konsum ist uns bewusst: Geld, was wir ausgeben, müssen wir wieder erarbeiten. Und: Um Gegenstände, die wir erwerben, müssen wir uns kümmern. Ergo: Konsum kostet Zeit! Diesbezüglich entscheiden wir uns für ein Leben nach dem Motto: Wir sind reich an Zeit! Zeit füreinander, miteinander, Zeit für uns selbst. Konkret bedeutet das: wir kaufen bewusst und wenig und meistens gebrauchte Dinge. Auf das, was wir haben, passen wir auf und pflegen es. Was wir nicht mehr benötigen, geben wir weiter.

Beim Einkaufen leiten uns folgende Kriterien:

  • Wir bevorzugen saisonale und regionale Produkte.
  • Wir kaufen beim eher bei inhaber(innen)geführten Unternehmen
  • Wir berücksichtigen die Philosophie des Unternehmens z.B. bezüglich Umgang mit Mitarbeiter/innen und der Produktion

Bezüglich Mobilität haben wir folgende Entscheidungen getroffen: Alle Strecken unter 5 Kilometer legen wir mit dem Fahrrad (wenn 5 km auf der Ebene) oder mit ÖPNV zurück. Es ist unser Ziel, als Familie nur ein Auto zu besitzen (ein Auto ist unser Maximum, kein Auto unser Optimum). Das Flugzeug nutzen wir nur, wenn das Ergebnis für uns im Verhältnis zu den ökologischen Kosten steht – also nur für längere Urlaube, in denen wir wirklich ein Stück entfernter Welt erkunden und kennenlernen.

Insgesamt ist uns wichtig, unseren ökologischen Fußabdruck klein zu halten. Wir achten auf den Schutz der Erde, auf die Bedürfnisse all ihrer Bewohner incl. Tiere und auf unsere Gesundheit.

Für unseren Austausch und Absprachen wählen wir die Form des wöchentlicheN Familienpalaver. Uns ist dabei wichtig, dass alle sich ausdrücken können, ihre Meinungen kundtun und ihren Standpunkt einbringen.

Das Palaver findet meistens Samstagvormittag beim Frühstück statt. Dafür nutzen wir unsere selbsgestaltete KaSuNoMa__ PALAVERTISCHDECKE. Das Palaver hat in etwa folgenden Ablauf:

  1. Einstimmung: Wir lesen einen Spruch, ein Zitat, ein Gedicht, einen Reim vor, der von den Erwachsenen abwechselnd eingebracht wird – wenn die Kinder einen haben können sie diesen natürlich auch gerne einbringen. Der Spruch begleitet uns durch die Woche und findet seinen Platz über dem Wochenplan. Der Spruch der vorherigen Woche kommt ins Treppenhaus. Jede/jeder äußert sich kurz zu dem Spruch.
  2. Alle erzählen was in der Woche los war, was sie erlebt haben wie es ihnen ging und berichten darüber wie es ihnen in der Familie geht.
  3. Wir machen gemeinsam die Planung für das Wochenende und die folgende Woche. Stimmen uns ab was getan werden muss und was wir machen wollen.
  4. Der Essensplan für die nächste Woche wird gemacht. Jede /Jeder darf sich ein Gericht aussuchen.
  5. Alle können Themen einbringen, über die sie gerne mit den anderen reden wollen. Das machen wir entweder gleich oder planen wann das passieren soll.
  6. Abschluss: Wir würdigen unsere Familie und bedanken uns gegenseitig für das was jede/jeder beim Familienpalaver eingebracht hat. Dann räumen alle noch zusammen auf.
Wochenplan 30.06.-06.07.2014

Wochenplan 30.06.-06.07.2014

Speiseplan 30.06.-06.07.2014

Speiseplan 30.06.-06.07.2014

Wochenspruch

Wochenspruch

Jetzt das Palavern beginnen

Jetzt das Palavern beginnen

Unsere Palavertischdecke

Unsere Palavertischdecke

Mariella bemalt ihre Ecke der Tischdecke

Mariella bemalt ihre Ecke der Tischdecke

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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____________________Karen Reitz-Koncebovski: Edelsteine ans Licht bringen. Beitrag zur Pädagogik. Zur Begründung eines Schulprojekts. 2006 Hofheim: Bahái-Verlag GmbH.[1] Vgl. Reitz-Koncebovski S. 64

[2] Vgl. Reitz-Koncebovski z.B. S. 55

[3] Vgl. Reitz-Koncebovski z.B. S. 108

[4] Vgl. Reitz-Koncebovski S. 225/226

[5] Vgl. Reitz-Koncebovski S. 226

[6] Baha’u’llah, Verborgene Worte, zitiert nach Reitz-Koncebovski

[7]Vgl. Reitz-Koncebovski S. 228

[8] Vgl. Reitz-Koncebovski S. 71

[9] Vgl. Reitz-Koncebovski z.B. S. 225

[10] Vgl. Reitz-Koncebovski S. 26

[11] Vgl. Reitz-Koncebovski S. 66, S. 225

[12] Vgl. Reitz-Koncebovski S. 68/69