Hmmm … ich stelle heute einfach mal unseren neu erworbenen Friedensstock ins Netz. Er hilft uns und den Kindern, unsere Konflikte respektvoller und friedlicher zu klären. Weniger Vorwürfe, Bewertungen und Beschimpfungen – stattdessen das Formulieren der eigenen Wahrnehmung, Gefühle, Bedürfnisse und Bitten. Das zeichnet gewaltfreie Kommunikation aus – und ist das Herzstück der Übernahme persönlicher Verantwortung. Gerade in Krisenzeiten, wenn die Emotionen hochkochen, ist beides eine große Herausforderung.
Ich bin gerne und viel in sozialen Netzwerken unterwegs. Ich mag es, über FB & Co in Verbindung zu bleiben mit Menschen, die ich real nicht so häufig treffen. Ich liebe es, miteinander zu teilen, was uns gerade beschäftigt. Ich schätze Meinungsvielfalt und den Austausch von Informationen. Zur Zeit erschüttert mich die Entwicklung in den sozialen Netzwerken. So viele Beiträge drehen sich darum, wer der oder die beste Staatsbürger/in ist, wer sich am solidarischsten verhält, wer Risikogruppen am engagiertesten schützt, wer die Gefahr des Virus besser als andere einschätzt, wer die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie mit mehr Weisheit beurteilen kann … und wer bezüglich all dieser Punkte ein Looser ist, ein sozialer Trittbrettfahrer. Manchmal schaue ich vermeintlich witzige Videos von Menschen, die Andersdenkende lächerlich machen. Mich amüsieren diese Videos nicht, sie machen mich traurig. Sie verletzen mein Bedürfnis nach einem respektvollen Umgang miteinander, nach Freiheit und nach Vielfalt. “Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden” – auch wenn das Zitat von Rosa Luxemburg historisch in seiner ursprünglichen Bedeutung umstritten ist – für mich hat es in der Bedeutung, die wir ihm in einer Demokratie beimessen Gültigkeit und einen hohen Wert.
Unsere menschliche Wahrnehmung ist immer begrenzt und auch die Wahrheiten, zu denen wir finden. Wir müssen uns innerlich positionieren, sonst sind wir im Alltag nicht handlungsfähig. Wenn ich keine Kriterien für meinen Wocheneinkauf habe, stehe ich völlig überfordert in unseren riesigen Supermärkten. Wenn ich nicht klar habe, was für mich in der Kindererziehung wichtig ist, bin ich in der Begleitung der Kinder orientierungslos. Wenn ich in meiner Arbeit als Psychotherapeutin auf kein Konzept zurückgreifen kann, habe ich für meine Klient/innen kein hilfreiches Werkzeug und keine klare Grundhaltung zur Hand. Und natürlich ist das ein oder andere Konzept, die ein oder andere innere Wahrheit mehr oder weniger erforscht und überprüft. Immer aber ist es zeitlich begrenztes Wissen – so lange, bis wir neue Erkenntnisse haben – wissenschaftlicher oder persönlicher Natur. Diese Bescheidenheit sollten wir vielwissenden Menschen nie verlieren!
Ich muss mich auch zu den Covid-19 Maßnahmen innerlich positionieren, um für unsere Familie und für unsere Kinder einen Umgang damit zu finden, der uns gerecht wird. Ich muss mich innerlich positionieren, um überhaupt einen aktiven Umgang mit Corona pflegen zu können – ist doch gerade ein aktiver und eigenverantwortlicher Umgang mit Krisen die zentrale Voraussetzung für ihre Bewältigung. Zu mir und Covid-19: Ich bin keine Systemgegnerin – im Gegenteil: Ich lebe gerne und gut in diesem System (in dem Bewusstsein, dass ich aufgrund mehrerer Faktoren privilegiert bin). Für vieles bin ich – auch vor dem Hintergrund unserer zahlreichen Reisen – einfach unglaublich dankbar. Ich bin dankbar dafür, dass unser Müll regelmäßig abgeholt wird. Ich bin dankbar dafür, dass unsere drei Kinder qualitativ hochwertige, kindgerechte und liebevolle Bildungsinstitutionen besuchen dürfen. Ich bin dankbar, dass wir auf ein gutes Gesundheitssystem zurückgreifen können, wenn wir krank sind – und uns keine Sorgen um die Behandlungskosten machen müssen. Das sind nur wenige Beispiele meiner täglichen Dankbarkeitspraxis. Natürlich bin ich auch systemkritisch – und versuche, da wo ich kann, Einfluss zu nehmen und die Welt ein kleines Stück mitzugestalten. Ich habe keinen rosaroten, aber positiven Blick auf unsere Welt – zumindest bemühe ich mich darum immer wieder. Ich bin auch dankbar für den Lockdown – vermutlich war das erst mal ein guter Schritt, der uns als Gesellschaft geschützt hat. Inzwischen wünsche ich mir einen breiteren und offeneren Diskurs aus unterschiedlichen gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Perspektiven. Vielleicht gäbe es intelligentere und differenzierte Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Das ist aber meine Meinung als Laie. Ich bin keine Expertin, die die Gefahr von Covid-19 und die Angemessenheit von Maßnahmen einschätzen kann. Das weiß ich. Expertin bin ich als Psychologin für die psychischen und sozialen Bedürfnisse von kleinen und großen Menschen. Hier vertrete ich eine klare Haltung. Die Rechte von Kindern finden in der Corona-Pandemie zu wenig Berücksichtigung. Dies beklagt auch der Kinderschutzbund. Autoren eines Spiegel-Artikels sprechen von einem “schweren Schlag gegen das Kindeswohl und verfassungsrechtlich höchst bedenklich”. Kinder sind in besonders intensiver Weise auf unsere Fürsorge und auf unseren Schutz angewiesen. Zu einer gesunden Entwicklung benötigen sie vielfältige soziale Kontakte, Konstanz von Bindungsbeziehungen, Spielkamerad/innen, eine anregungsreiche Umgebung und Menschen, die sie in ihrem (Selbst)Bildungsprozess aktiv begleiten. Kinder haben ein Recht auf Partizipation und auf Bildung. Der Lockdown mit den flächendeckenden Schließungen von Kitas und Schulen verletzt dieses Recht massiv. Natürlich nehmen nicht alle Kinder dadurch Schaden. Gesunde Kinder (ohne erhöhten Förderbedarf), die zuhause den sicheren Ort finden, der er sein sollte, mit ausreichend Spielkameraden im familiären Umfeld und mit Eltern, die ausreichend Kapazität für ihre Begleitung haben, können eine monatelange Schließung von Kitas und Schulen gut bewältigen. Es gibt ja auch Kinder, die ganz ohne Kita und Schule gut groß werden. Viele Kinder wachsen aber nicht unter diesen optimalen Bedingungen auf. Viele, zu viele, werden gerade nachhaltig in ihrer Entwicklung geschädigt. Das ist dramatisch … und kann durch eine Notbetreuung auch nicht aufgefangen werden, zumal hier viele Kinder durchs Raster fallen. Neben den Kindern gibt es andere psychosoziale Risikogruppen, die durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie gefährdet sind: Obdachlose, psychisch kranke Menschen, Pflegebedürftige … um nur ein paar zu nennen. Der Schutz von Kindern und anderen psychosozialen Risikogruppen muss dem Schutz von Corona-Risikogruppen gleichgestellt sein!
Nochmal zu Kindern: Bitte keine Abstandsregeln und keine Masken für Kinder! Der Garten des Kindergartens unserer Jüngsten ist mit einem roten Absperrband unterteilt. Die Kinder der einen Notgruppe dürfen nicht mit den Kindern der anderen Notgruppe spielen. Zum Glück müssen die Kinder innerhalb einer Notgruppe keinen Abstand voneinander halten. Grundschulkinder müssen das aber. Sie dürfen sich nicht berühren, nicht nebeneinander sitzen, nicht zusammen arbeiten. Das macht mir als Psychologin echt Bauchschmerzen!
Der Friedensstock wurde entwickelt von Tassilo Peters. Er soll Familien, Kindergärten und Schulen helfen, gewaltfreie Kommunikation im Alltag zu leben.
Habt einen schönen Tag und lasst es uns respektvoll, friedlich und gemeinsam schaffen!
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