Nun gibt es (noch) keine Ausgangssperre – aber Kitas und Schulen sind zu und die Möglichkeiten rauszugehen und andere zu treffen sind sehr eingeschränkt. Man soll so viel wie möglich zuhause bleiben. 24/7 zusammen zuhause – was bedeutet das für Familien?

Ein Juwel unter den Veröffentlichungen zum Thema Corona und Familien ist für mich die Dokumentation des Webinars „Hausarrest für alle – wie schaffen das Familien?“.
In einem interaktiven Videogespräch informiert Karl-Heinz Brisch (Kinder- und Jugendpsychiater, Bindungsforscher…): Was macht Corona mit uns Erwachsenen und mit den Kindern? Was ist die Herausforderung aus Bindungsperspektive? Was können Eltern ganz konkret tun? Was ist jetzt wichtig? Dann beantwortet Karl-Heinz-Brisch Teilnehmerfragen. Und das macht er super klar, Dinge auf den Punkt bringend und hilfreich.
Am Ende des Webinars wird darum gebeten, die Doku des Webinars und seinen Inhalt mit zu verbreiten. Das mache ich hiermit gerne. Die obige Verlinkung führt zu der Doku des Webinars. Hier eine kurze Zusammenfassung:

Corona macht etwas mit uns Erwachsenen. Es setzt bei jedem eine Dynamik in Gang, die mit mehr oder weniger Stress einhergeht. Die Frage ist: Wie bewältigen wir diesen Stress und unsere eigene Angst? Und: Und was bedeutet unser Stress für unsere Kinder?

Die zentrale Herausforderung für Eltern aus Perspektive der Bindungsforschung ist: Die Kinder spüren, dass etwas nicht stimmt. Sie spüren, dass die Erwachsenen unruhig sind, aufgeregt, vielleicht auch Angst haben. Ihr Tagesauflauf ist verändert. Sie dürfen nicht mehr in Kita oder Schule, dürfen ihre Spielkamerad/innen nicht mehr treffen, die Großeltern nicht mehr besuchen. All das verunsichert die Kinder, stresst sie, macht ihnen Angst. Sie suchen Schutz bei ihren Bindungspersonen, um bei diesen Schutz und Sicherheit zu finden. Je kleiner die Kinder, umso mehr suchen sie diese Sicherheit über körperliche Nähe und Körperkontakt. Das Problem: Mama oder Papa sind selber verunsichert, beunruhigt, gestresst, haben Angst. Diese Unsicherheit und Aufregung überträgt sich zum einen auf das Kind, zum anderen können die Eltern nicht mehr gut beruhigen, wenn sie selbst unruhig sind.

Wie zeigen Kinder, dass sie unsicher und gestresst sind?
Säuglinge und Kleinkinder weinen, sind unruhig, jammern, quengeln, schlafen und/oder essen schlechter, suchen vermehrt körperliche Nähe, klammern.
Kindergartenkinder sind motorisch unruhiger, aufgeregter, unzufriedener, können sich schlechter konzentrieren, schlechter ins Spiel finden, spielen weniger alleine, wollen vermehrt in der Nähe der Eltern sein, sind evtl. auch aggressiver z.B. im Kontakt mit den Geschwistern.
Schulkinder, die schon mehr Selbständigkeit und Unabhängigkeit gewohnt sind dürfen nicht mehr raus, sollen sich von ihren Freunden distanzieren, können sich nicht mehr austauschen. Auch sie zeigen evtl. vermehrt aggressives Verhalten und eine größere Unruhe. Vielleicht fällt es Ihnen schwer, sich auf die Schulaufgaben die sie jetzt zuhause machen sollen zu konzentrieren. Vielleicht brauchen auch sie die Eltern nun mehr als sonst und suchen häufiger ihre Nähe.
Jugendliche leben eigentlich davon, dass sie rausgehen und ihre Freunde treffen … nicht nur im Chat sondern auch real. Vielleicht finden sie die Corona-Maßnahmen blöd und übertrieben und sehen nicht ein, dass sie zuhause bleiben sollen. Vielleicht nehmen sie Corona sehr ernst und reagieren mit Angst und/oder depressivem Verhalten.

Was können wir tun?

Unglaublich wichtig ist, dass sich die Erwachsenen (immer wieder) beruhigen bzw. entspannen. Sie sind den Kindern sonst kein stabiles emotionales Gegenüber. Sie können die Kinder sonst nicht beruhigen. Folgende Maßnahmen sind hierzu hilfreich:

  •  Klar, wir möchten uns jetzt ständig informieren und das Web bietet dazu vielfältige Möglichkeiten. Wenn Sie Kinder betreuen – holen sie Infos strukturiert ein (2-3mal am Tag) ohne permanent online zu sein. Sonst heizen die Nachrichten das eigene Erregungsniveau immer wieder an.
  •  Gehen Sie auch mal alleine spazieren, atmen Sie durch, gewinnen Sie Abstand.
  •  Strukturieren Sie den Tag – das gibt allen Sicherheit.
  •  Nutzen Sie Entspannungsverfahren wie Autogenes Training, Yoga, Meditation oder Visualisierung (hierzu gibt es viele Angebote auch im Netzt … z.B. den Sicheren inneren Ort)
  • Begleiten Sie ihre Kinder altersgerecht. Die Kinder brauchen Sie und Ihre Zuwendung jetzt besonders. Kinder haben einen besonderen Fürsorge- und Schutzbedarf. Acht Sunden Home-Office und Kinderbetreuung geht nicht. Karl-Heinz Brisch appelliert hier an alle Arbeitgeber und wünscht sich auch eine klare Stellungnahme der Kanzlerin. Vor allem für Alleinerziehende ist das eine extreme Belastungslage. Und am Ende leidet das schwächste Opfer … das Kind.
  •  Haben Sie keine zu hohen Ansprüche an sich und ihre Kinder! Es ist eine Ausnahmezustand! Alles was hilft, ist erlaubt, auch mehr Medienzeit für die Kinder als üblich. “Ich arbeite jetzt im Home-Office und ihr spielt schön” – kann klappen, muss aber nicht… Spielen kann man halt auch nicht auf Knopfdruck und schon gar nicht, wenn man gestresst ist. Diese Haltung gilt auch für Schulkinder – wenn sie die Aufgaben die die Schule ihnen online aufgibt nicht schaffen (bzw. Sie als Erwachsener nicht schaffen, Ihr Schulkind bei den Aufgaben zu begleiten: Setzen Sie deswegen weder sich noch ihr Kind unter Druck. Karl-Heinz Brisch formulierte einen dringenden Appell an Schulleitungen und Lehrer/innen: Bitte entspannen Sie sich … erwarten Sie nicht zu viel … Familien haben gerade genug Stress … geben Sie nicht noch mehr Druck rein.
  •  Bei Eskalation in der Familie: “Stop” rufen – das kann ein Erwachsener oder ein Kind tun. Sie Situation unterbrechen, alle ziehen sich für eine Zeit zurück und kommen dann wieder zusammen um gemeinsam zu verstehen, was los war.
  •  Wenn Sie merken, dass Stress und Angst zu groß werden … holen Sie sich rechtzeitig Hilfe. Jede Stadt bietet Online-Beratungsangebote. Viele Psychotherapeut/innen haben auch ein Online-Angebot.
  •  Ein Appell an die Politik: Bitte schließt jetzt die Psychotherapie nicht, v.a. nicht die Kinderpsychotherapie!
  •  Haben Sie die Familien um sich herum im Blick … und schauen Sie, ob jemand ihre Hilfe braucht.

Gemeinsam schaffen wir es!