Weil Bindung vor Bildung kommt! Lernen in unsicheren Zeiten – was Erzieher/innen, Schulleitungen und Lehrer/innen jetzt tun können.

Derzeit steht immer wieder eine Verlängerung der Schließung von Kindergärten und Schulen über den 19. April hinaus im Raum. Ob das eintritt, weiß im Moment niemand. Was wir aber wissen: Sollte dies der Fall sein, wird der Stress in Familien weiter steigen. Und: Um dies abzufedern, können wir heute schon etwas tun. Deshalb heute einen Appell an Erzieher/innen, Schulleitungen und Lehrer/innen. Ihr seid gerade oft die Einzigen, die einen Fuß in der Familientür haben.

Corona verunsichert: Die Corona Pandemie macht etwas mit uns Erwachsenen. Sie setzt bei jedem eine eigene Dynamik in Gang, die mit mehr oder weniger Stress und Unsicherheit einhergeht: ungewohntes Home-Office, Kurzarbeit, finanzielle Sorgen, keine Entlastung bei der Kinderbetreuung, Angst um die eigene Gesundheit oder um die Gesundheit naher Angehörigen. Auch die Kinder spüren, dass etwas nicht stimmt. Sie spüren, dass die Erwachsenen unruhig sind, aufgeregt, vielleicht Angst haben. Ihr Tagesauflauf ist verändert. Sie dürfen nicht mehr in Kita oder Schule, dürfen ihre Spielkamerad/innen nicht mehr treffen, die Großeltern nicht mehr besuchen. All das verunsichert die Kinder. Ihr Bindungssystem wird aktiviert. Sie suchen Schutz und Halt bei ihren Bindungspersonen. Das Problem: Sind Eltern gestesst und verunsichert, sinken innere Ruhe, Einfühlungsvermögen und Geduld. So können sie manchmal nicht mehr ausreichend auf die Bindungsbedürfnisse ihrer Kinder eingehen. Die Folge: Die Unsicherheit der Kinder steigt, ihr Bindungssystem ist aktiviert, ihr Bindungsbedürfnis steigt.

Liebe Erzieher/innen, Schulleitungen und Lehrer/innen: Viele “ihrer” Kinder sind gerade verunsichert und haben ein aktiviertes Bindungssystem. D.h. sie erleben Angst und Stress. Feinfühlige und konstante Zuwendung durch vertraute Menschen wirkt jetzt beruhigend. Manche Eltern “ihrer” Kinder schaffen das gerade vielleicht nicht in ausreichendem Maß. Sie als Erzieher/in, Schulleitung oder Lehrer/in haben jetzt einen Bildungsauftrag via Homeschooling. Nachhaltige Bildungsarbeit setzt jedoch voraus, dass die Bindungsbedürfnisse der Kinder befriedigt sind. Nur wenn ein Kind frei von Angst ist und sich sicher fühlt, kann es lernen. Nur dann kann es neugierig und aufmerksam sein. Nur dann kann es staunen und Vertrauen in seine Fähigkeiten haben. Nur dann kann sein Gehirn die Lerninhalte auch speichern. Auf den Zusammenhang “Bindung kommt vor Bildung” weisen Bindungsforschung und Hirnforschung immer wieder hin. Deshalb eine Bitte an Sie: Pflegen Sie vor allem die Beziehung zu “ihren” Kindern. Das ist gerade viel wichtiger als die Vermittlung von Inhalten.

Je direkter der Kontakt, desto besser für das Bindungssystem. Hier ein paar Anregungen, die ich von Erzieher/innen, Schulleitungen und Lehrer/innen habe: 

  •  Klingeln Sie doch an der Haustür  “ihrer” Kinder, halten sie mit angemessenem Abstand ein kleines Schwätzchen und überreichen dem Kind seine Arbeitsblätter vielleicht persönlich. In Deutschland ist das (anders als in Luxemburg) noch erlaubt. Dies ist vor allem bei Kindergarten- und Grundschulkindern möglich, die häufig alle im nahen Umfeld wohnen.
  •  Rufen Sie die Kinder an!
  •  Nutzen Sie die Möglichkeiten der modernen Technik zu einem Treffen per Video!
  •  Chatten Sie mit “ihren Kindern! Es gibt datensichere Anbieter, wie z.B. Signal.
  •  Halten Sie Unterricht wie immer – jetzt aber über Videokonferenzen (evtl. in Kleingruppen).
  •  Schreiben Sie “ihren” Kindern doch einen Brief mit ein paar persönlichen, wertschätzenden, lieben Worten.
  •  Wenn Sie Aufgaben der Kinder korrigieren, gestalten Sie Ihre Rückmeldung so persönlich, wertschätzend und stärkend wie möglich.

All dies hätte auch den Nebeneffekt, dass Erzieher/innen und Lehrer/innen die Stimmung in der Familie mitbekommen. Sie können dann entweder selbst hilfreich sein und unterstützend reagieren oder eine Familie an den schulpsychologischen Dienst oder die Schulsozialarbeit weiterleiten. In China ist die häusliche Gewalt unter Corona um das Dreifache gestiegen! Jetzt sind Sie als Erzieher/in oder Lehrer/in vielleicht der/die Einzige, der mitbekommen kann, wie es einem Kind geht.

Schützt die Kinder und stärkt die Familien! Gemeinscham schaffen wir es!

Gegen das Coronavirus hilft jetzt eines: Resilienz

Resilienz kommt von dem lateinischen Wort “resilire” und das bedeutet “zurückspringen”,  “abprallen”. Stellen Sie sich selbst als Stehaufmännchen vor. Sie besitzen so die Fähigkeit, Ihre aufrechte Haltung aus jeder beliebigen Lage wieder einzunehmen. Am besten stellen Sie sich als Stehaufmännchen in einer unsichtbaren Schutzhülle vor. Negative Einflüsse von außen, Belastungen, Angriffe prallen einfach ab oder werden zumindest abgemildert. So lassen Sie sich von widrigen Lebensumständen nicht unterkriegen. Sie können kreativ und flexibel in Krisen reagieren, in denen andere sich hilflos fühlen. Belastungen erleben Sie eher als Herausforderung denn als unlösbares Problem oder nicht zu bewältigende Krise. Aus Krisen gehen Sie gestärkt und gereift heraus.

Resilienz oder psychische Widerstandsfähigkeit ist also die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen und sie als Anlass für Entwicklung zu nutzen. Resiliente Menschen greifen dazu auf persönliche und soziale Ressourcen zurück. Eine spannende Grundlage der Resilienzforschung sind Langzeitstudien mit Kindern (Kauai-Studie), die unter sehr schwierigen Bedingungen groß geworden sind. Zu diesen erschwerten Bedingungen gehörten Armut, Alkohol- und Gewaltprobleme in der Familie. Die spannende Frage war: Wie kommt es, dass einige dieser Kinder als Erwachsene dennoch ein erfolgreiches Leben führten (stabile Beziehungen, Berufstätigkeit, gute körperliche und psychische Gesundheit) während andere dieser Kinder als Erwachsene im Leben scheiterten (Alkohol, Straftaten, psychische und körperliche Erkrankungen, scheiternde Beziehungen)? Worin unterscheiden sie sich? Das war die Geburtsstunde der Resilienzfaktoren. Die Studie kristallisierte nämlich Fähigkeiten und Persönlichkeitsmerkmale heraus, die die Erfolgreichen von den Gescheiterten unterschied. Und die Studie zeigte auch: Diese Fähigkeiten können erlernt werden, auch wenn sie einem nicht in die Wiege gelegt wurden.

Viele von uns verfügen grundsätzlich über diese schützenden Fähigkeiten  – damit wir sie in einer Krise bewusst und aktiv nutzen können, müssen sie uns aber auch präsent sein. Deshalb nachfolgend die wichtigsten Resilienzfaktoren:

Optimismus: “Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man etwas schönes bauen” oder: Auch aus einer Krise kann in der Zukunft etwas Gutes entstehen. Mit Optimismus ist nicht gemeint, dass Sie mit einer rosaroten Brille durch das Leben spazieren. Es geht eher um eine Grundhaltung, gerade in schwierigen Situationen darauf zu vertrauen, dass es wieder besser wird. Und dass es immer irgendetwas Positives gibt, worauf wir unsere Wahrnehmung richten können.

Akzeptanz: Veränderungen sind ein Teil des Lebens. Resiliente Menschen akzeptieren das Unvermeidbare und passen sich veränderten Situationen an. Ein schönes Bild ist der Fluss, der nicht gegen sie Steine im Wasser kämpft, sondern geschmeidig um sie herumfließt. In meiner therapeutischen Praxis trainiere ich mit Klient/innen häufig den Dreierschritt aus der buddhistischen Praxis “Wahrnehmen – Akzeptieren – Loslassen”. Wahrnehmen: Ich nehme die Situation wahr, wie sie ist – ohne Verleugnung oder rosa Einfärbung. Akzeptieren: Ich sage “Ja” zu mir und meinem Leben – so wie es ist. Loslassen: Ich lasse los und gehe weiter. Ich nutze meine Kraft für die Dinge, die ich verändern kann.

Emotionssteuerung: Früher dachte man, Gefühle und Gedanken hätten nichts miteinander zu tun. Die Intellektuellen um Kant dachten komplizierte Gedanken, das Fußvolk fühlte … 🙂 . Heute sind wir zum Glück ein paar Schritte weiter … und wissen: Gefühle und Gedanken sind eng miteinander verflochten. Emotionen haben immer auch eine kognitive Seite. Was wir fühlen hängt maßgeblich davon ab, wie wir eine Situation gedanklich bewerten. Stellen Sie sich einen Mann vor, der abends darauf wartet, dass seine Frau aus dem Büro nach Hause kommt. Es ist 21:00 Uhr. Normalerweise kommt sie immer um 19:00 Uhr. Was er fühlt, hängt davon ab, was er denkt: “Hoffentlich ist ihr nichts passiert” – Angst, “Sie macht Überstunden. Prima, dann haben wir mehr Geld und ich kann mir vielleicht doch ein neues Smartphone kaufen.” – Freude, “Sie hat es schon wieder nicht geschafft, pünktlich Schluss zu machen und ich musste nach einem langen Tag auch noch die Kinder allein ins Bett bringen.” – Ärger, “Hat sie nicht so begeistert von einem neuen Kollegen erzählt …” – Eifersucht, Verlustangst. Covid-19 mit allen Folgen für uns – wie es uns damit geht, hängt ganz entscheidend von unserer Bewertung ab. Machen Sie sich Ihre Gedanken bewusst und wenn es belastende Gedanken sind: Überlegen Sie, ob es eine andere Sicht auf die Situation gibt. 

Empathie: Sich in andere einfühlen können (und wollen) ist eine Basiskompetenz wenn es um soziale Beziehungen geht. Ohne Einfühlungsvermögen ist Beziehung nicht möglich. Wir alle brauchen aber das Gefühl der Kooperation, Zusammengehörigkeit und des wertschätzendes Kontaktes miteinander – gerade in Krisenzeiten. Es ist beeindruckend, wie sehr die Menschen gerade trotz Kontaktverbot zusammenrücken – sich solidarisieren, einander helfen und sich gegenseitig ermutigen. Empathie hilft aber auch die eigene Situation zu relativieren. Können wir uns z.B. in syrische Flüchtlinge in überfüllten Lagern einfühlen, dann fällt es uns schwer unter Covid-19 von “Lagerkoller” zu sprechen. Wir sehen die  Einschränkungen und Sorgen mit denen wir gerade konfrontiert in einem anderen Licht. Genauso wichtig ist Empathie für uns selbst. Wenn eine Alleinerziehende gerade im Home-Office arbeitet, finanzielle Sorgen hat und dazu noch die Kinderbetreuung stemmen muss ist es wichtig, dass sie ihre Überlastungssituation sieht, fühlt und anerkennt. Sie wird sich sonst weder Hilfe suchen noch ihre Ansprüche an sich selbst senken.

Netzwerkorientierung: Resiliente Menschen ziehen sich in einer Krise nicht zurück, sondern suchen aktiv den Kontakt zu anderen, um sich auszutauschen und um sich gegenseitig zu unterstützen. Pflegen Sie gerade jetzt ihre Kontakte! Ein Hoch auf das Internet, dass dies heutzutage auch ohne sich real zu begegnen möglich ist. Vielen tut jetzt ein netter Gruß, ein Kompliment, ein schönes Foto gut. Überlegen Sie, wer jetzt Ihre Unterstützung benötigen könnte und bieten Sie selbst Ihre Hilfe an. Gemeinsam schaffen wir es!

Impulskontrolle: In Krisenzeiten steigt der innere Stress – sei es durch Ängste, Sorgen, Probleme die es zu bewältigen gilt oder zusätzlich unter Corona durch die Kontaktsperre. Mit dem Steigen des Stresspegels sinkt unsere Fähigkeit, unser Verhalten zu kontrollieren. Wir alle kennen das – wir schreien dann unsere Kinder an, lassen unseren Frust an unserem Partner aus oder an dem Mitmensch im Supermarkt, der uns trotz Abstandsregel zu nahe kommt. Und wir alle wissen – es hilft nicht, sondern macht die Situation noch schlimmer. Was hilft? Wichtig ist, unseren steigenden Stresspegel möglichst früh zu bemerken. Dann ist es uns noch möglich, in Alternativen denken und unser Verhalten zu kontrollieren. Zum Beispiel: Wenn Ihre Kinder Sie zum zweiten Mal im Home-Office stören und Sie merken, dass Sie unter Druck kommen – Innehalten – Was ist jetzt hilfreich? Was braucht es jetzt? – Eine wirklich klare Ansage an die Kinder? – Vielleicht eine Pause, in der die Kinder Aufmerksamkeit bekommen? – Eine Runde frische Luft für alle? – Ein Anruf bei Ihrer Chefin, dass das Arbeitspensum bei gleichzeitiger Kinderbetreuung nicht zu schaffen ist? Wichtig ist, dass Sie das Lenkrad in der Hand behalten, bevor ihr angeborener Autopilot im Gehirn das Steuer übernimmt. Denn wenn der Autopilot vom Stresspegel die Info “Gefahr in Verzug” erhält, kennt der keine Rücksicht auf Verluste … dann geht es biologisch ums Überleben. Auch wenn es real “nur” darum geht, eine Aufgabe nicht termingerecht zu beenden. 

Die Opferrolle verlassen: Manche Krisen wie die Corona-Pandemie kommen ohne unser Zutun über uns. Dies gilt auch für die Maßnahmen, die die Regierung zur Bekämpfung der Pandemie ergreift. Ob wir sie nun angemessen finden oder nicht – wir haben keinen Einfluss. Resiliente Menschen sehen sich dennoch nicht in einer Opferrolle, sondern sie setzen sich aktiv mit der bestehenden Situation auseinander und versuchen, sie zu ihren Gunsten zu verändern. O.k., die Kinder sind gerade den ganzen Tag zuhause – dann mache ich das Beste daraus und nutze die Chance jetzt viel Zeit für Kontakt und Beziehung zu haben. Ich kann mich grad nicht meinen Freunden treffen – was kann ich stattdessen tun, was oft zu kurz kommt? Ich musste mein Unternehmen schließen und habe Angst, das finanziell nicht zu verkraften – o.k. daran kann ich gerade nichts ändern, aber vielleicht kann ich die Zeit nutzen für Qualitätssicherung, Weiterbildung und eine Weiterentwicklung meines Betriebs. Damit sind wir bei einem weiteren Resilienzfaktor: Verantwortung übernehmen. Für die Situation wie sie ist, kann ich nichts. Aber ich und nur ich bin verantwortlich, wie ich mit der Situation umgehe. Und hier sind wir dann auch schon ganz nahe bei last but not least dem letzten Resilienzfaktor, der

Lösungs- und Zukunftsorientierung: Im Grunde ist hier die Haltung gemeint, in jeder Herausforderung eine Chance zu erkennen … und damit diese Chance auch eine Chance hat … unsere ganze Kraft, Zeit und Energie zu investieren. Dann ist unsere kleine Welt … und vielleicht auch die eine große Welt nach Corona noch schöner und reicher. Vielleicht nicht reicher an Geld, aber reicher an Gemeinschaftsgefühl, reicher an Delfinen in den Häfen, reicher an frischer klarer Luft, reicher an tiefen Eltern-Kind-Beziehungen, reicher an Entschleunigung … . 

In diesem Sinne: Auf einen aktiven, selbst bestimmten und gemeinsamen Umgang mit Corona! Alles wird gut 🙂 Gemeinsam schaffen wir es!

 

Zwischen Panik und Gelassenheit – warum reagieren Menschen so unterschiedlich auf die Corona-Krise?

Die Corona-Krise löst bei manchen Panik aus, andere bleiben völlig gelassen. Und dann gibt es noch die, die irgendwo dazwischen liegen. Aber warum reagieren wir so unterschiedlich auf diese Krise?

Die Antwort liegt in unserem psychischen Immunsystem – das Schutzschild unserer Seele. Wie es körperliche Erkrankungen und ein somatisches Immunsystem gibt, das sie abwehrt, so gibt es auch ein psychisches Immunsystem, das Belastungen für die Psyche abwehrt. Die psychische Widerstandskraft ist bei jedem Menschen unterschiedlich. Die meisten von uns kennen Menschen, die selbst schwerste traumatische Schicksalsschläge verkraftet haben, ja vielleicht sogar an ihnen gewachsen sind. Andere zerbrechen daran. Wie kommt dieser Unterschied zustande? Und wie können wir unser psychisches Immunsystem stärken?

Wer seine körperlichen Grundbedürfnisse befriedigt, stärkt sein somatisches Immunsystem. Wer seine psychische Widerstandskraft stärken will tut gut, seine psychischen Grundbedürfnisse zu kennen.

Grawe (Psychotherapieforscher) unterscheidet 4 Grundbedürfnisse: Bindung, Kontrolle & Orientierung, Selbstwertschutz & Selbstwerterhöhung, Lustgewinn und Unlustvermeidung. Alle vier Grundbedürfnisse haben angeborene neuronale Grundlagen. Das bedeutet, bereits ein Säugling setzt seine eingeschränkten Verhaltensmöglichkeiten so ein, dass diese Grundbedürfnisse möglichst befriedigt werden. Spannend, oder?

Das Bedürfnis nach Bindung: Wir sind soziale Wesen und haben das Bedürfnis dauerhafte Beziehungen zu emotional nahe stehenden Menschen einzugehen. Wir leben in Familien, haben Freunde und ordnen uns einer Gemeinschaft zu. Auch unsere Hormone, z.B. das ‘Kuschelhormon’ Oxytocin, sorgen dafür, dass Nähe mit Wohlgefühl verbunden ist.

Kontrolle & Orientierung: Ob es um unseren Tagesablauf, unsere Zukunft, unsere Arbeit oder um unsere Beziehungen geht: Wir wissen gerne, was Sache ist. Wir möchten planen, uns auf Geplantes und Vereinbartes verlassen können, wir möchten Einfluss nehmen können. Wir möchten verstehen, was passiert und wir möchten wissen, was auf uns zukommt.

Selbstwertschutz & Selbstwerterhöhung: Wir möchten für andere von Wert sein und Anerkennung finden. Wir sind neugierig, lernbegierig und auch ein bisschen eitel – das alles liegt aus gutem Grund in unserer Natur. Es bringt uns und unsere Gemeinschaft voran und sichert unser Überleben und unsere Fortpflanzung. Also tun und lernen wir gerne das, worin wir gut sind.

Lustgewinn & Unlustvermeidung: Diesem Grundbedürfnis zugrunde liegt die sog. “Gut-Schlecht-Bewertung”. Sie ist als “ständig aktiver Monitor des psychischen Geschehens” immer im Hintergrund aktiv. Das bedeutet: Alle Erfahrungen, die wir machen, werden automatisch dahingehend bewertet ob das was gerade passiert gut oder schlecht für uns bzw. angenehm oder unangenehm ist.

Kurz gesagt: Wir brauchen Freunde, möchten unser Leben im Griff haben, haben gerne Spaß haben und die Zuneigung und Anerkennung ist uns wichtig. Diese Grundbedürfnisse sind der Schlüssel um a) zu verstehen, was in Krisenzeiten passiert und b) warum manche Menschen krisenfester als andere sind.

Covid-19 – was passiert?  Die Kontaktsperre tangiert unser Bedürfnis nach sicheren Bindungen.  Zum einen können wir für uns wichtige Menschen nicht mehr real treffen, zum anderen werden relevante Bindungsbeziehungen wie unsere Partnerschaft oder die Beziehung zu unseren Kindern vielleicht konfliktreicher, weil wir ungewohnt viel aufeinander sitzen. Wir wissen nicht, wie es weitergeht, wie schlimm uns die Pandemie treffen wird, welche Maßnahmen die Regierung morgen beschließt … unser Bedürfnis nach Kontrolle & Orientierung wird (massiv) verletzt. Schon lange hat der Staat nicht mehr so in unser alltägliches Leben eingegriffen. Viele haben die Doppelbelastung von Kinderbetreuung und Home-Office und bleiben dann vielleicht in beiden Bereichen hinter ihren Ansprüchen zurück. Das kratzt am Selbstwert, zumindest erhöht es ihn nicht. Viele Dinge, die uns Spaß gemacht haben wie Kino, Theater, Sportstudio, Schwimmen gehen, Yogakurs oder auch nur die Treffen mit Freunden fallen weg – Unlust macht sich breit. Für den einen passiert all das mehr, für den anderen weniger. Da sind wir auch bei unseren individuellen Bewältigungskompetzenzen, also der Art und Weise, wie wir mit Krisen umgehen. Corona ist ein weites Feld 🙂 zu unserem individuellen Umgang mit Belastungssituationen in einem nächsten Beitrag mehr.

Deutlich wird: Die Corona-Krise verletzt alle psychischen Grundbedürfnisse. Stellen wir uns diese Grundbedürfnisse als Gefäße vor, die individuell mehr oder weniger gefüllt sind. Dann leuchtet es ein, dass Menschen die mit gut gefüllten Gefäßen in die Krise gehen, weitaus weniger von ihr mitgenommen werden. Sind meine Bedürfnis-Gläser gut gefüllt und die Corona-Krise nimmt davon etwas weg … bleibt immer noch genug drin, um mich wohl zu fühlen. Das ist eine Erklärung dafür, weshalb manche Menschen mit Panik und Stress reagieren, während andere die Ruhe selbst bleiben.

Eine gute Krisen-Prophylaxe ist also, für einen guten Füllstand unserer Bedürfnisgläser Sorge zu tragen. Auch in der Krise macht das Sinn. Statt also die fünfzigste Packung Klopapier zu kaufen … überlegen Sie lieber: Wie können Sie Ihre Zeit und Energie nutzen, um Ihre psychischen Grundbedürfnisse zu befriedigen?

.. und schreiben Sie Ihre Ideen gerne als Inspiration für andere in die Kommentare. Anderen helfen macht Freude (Bedürfnis nach Lustgewinn), macht klar, dass Sie etwas und was Sie tun können (Bedürfnis nach  Kontrolle und Orientierung), helfen ist selbstwertdienlich und Sie gehen damit in Kontakt (Bindungsbedürfnis). Also … eine Inspiration für andere formulieren … und vier Fliegen mit einer Klappe schlagen 🙂

Eine Audioanleitung zur Achtsamkeitspraxis – viel Freude damit!

Eine Audioanleitung zur Achtsamkeitspraxis – viel Freude damit!

Corona macht etwas mit uns. Es löst bei jedem eine eigene Dynamik aus. Oft gehen Home-Office, Homeschooling, Kontaktsperre, Existenzsorgen und Unsicherheit bezüglich der Zukunft einher mit innerer Unruhe, sorgenvollen Gedanken und Angst. Gerade jetzt ist es wichtig, aktiv für die eigene Stressregulation Sorge zu tragen. Achtsamkeitsübungen senken das eigene Erregungsniveau, machen uns resistenter gegen Stress und steigern darüber hinaus unser tägliches Wohlbefinden! Die Achtsamkeitsübung ist von Michaela Huber aus ihrem Buch “Der innere Garten”, gesprochen von mir.

Ihr braucht dazu: 10 Minuten Zeit, einen Stuhl auf dem ihr bequem möglichst aufrecht sitzen könnt und einen Raum, in dem ihr ungestört seid. Wichtig: Wenn ihr euch bei dieser Übung nicht entspannt, macht euch keinen Stress! Es geht einfach darum wahrzunehmen wie es euch geht, ohne zu bewerten. Alles darf da sein.

Einfach mal 10 Minuten abschalten und den Blick nach innen richten.

Es ist mein erstes Audio und das Erstellen hat Freude gemacht und mich entspannt 🙂

Viel Freude damit!

Homeschooling ist jetzt eine tolle Sache – aber bitte nehmt den Druck raus!

Homeschooling ist jetzt eine tolle Sache – aber bitte nehmt den Druck raus!

Die Schulen haben das Homeschooling entdeckt. Ein bischen kann ich mir ja das Grinsen nicht verkneifen. Als ich unseren Sohn nach mehrjährigem Homeschooling vor wenigen Wochen in seiner jetzigen Schule angemeldet habe musste ich seitens der Schulleitung in unserem ersten persönlichen Gespräch erst mal über mich ergehen lassen, dass sie von Homeschooling im Allgemeinen und von Schule via Internet im Besonderen absolut nichts hält. Und nun … machen sie es selbst… . So  ändert Corona die Zeiten … 🙂

Und die Schule unseres Sohnes macht das richtig toll. Innerhalb kurzer Zeit haben sie auf die Beine gestellt, dass die  Schüler/innen via ANTON Aufgaben erhalten (ich finde die App richtig klasse). Über eine andere App können die Klassenkamerad/innen zueinander und zu den Lehrer/innen Kontakt aufnehmen. Manchmal erhält unser Sohn auch eine Mail von seiner Klassenlehrerin. Da steht immer am Ende “Wir vermissen Dich” oder “Wir vermissen unsere tolle 5a”. Ganz lieb und bindungsorientiert.

Zu den inhaltlichen Anforderungen an die fünfte Klasse ein Auszug aus der letzten Mail: Liebe Klasse 5, die Schule ist zu aber das Lernen geht weiter. Bitte übe jeden Tag (insgesamt) eine Stunde Mathe, (insgesamt) eine Stunde Deutsch, (insgesamt) eine Stunde Englisch, (insgesamt) eine Stunde für ein anderes Fach. Aber: Es ist besser, das Fach auch mal zu wechseln. Beispiel: 15 Minuten Vokabeln, dann 15 Minuten Einmaleins, dann 15 Minuten lesen … Aber insgesamt sollst Du pro Fach auf eine Stunde kommen. … Diese Aufgaben sind Pflicht.

Wenn ihr ein 10 oder 11jähriges Kind habt, das diese Anleitung selbständig umsetzt: Herzlichen Glückwunsch! Die allermeisten Kinder werden viel Unterstützung seitens der Eltern benötigen – die müssen motivieren, strukturieren, das Kind begleiten.

Die Situation in den Familien ist gerade sehr unterschiedlich. Da gibt es die klassische Familie mit einem (Schul)kind – er arbeitet im Homeoffice, sie betreut die Kinder. Es gibt Familien mit mehreren Kindern. Womöglich hat das Schulkind noch 2-3 jüngere Geschwister. Es gibt Familien, die haben neben dem Schulkind noch behinderte oder chronisch kranke Kinder. Es gibt Alleinerziehende mit all den genannten möglichen Konstellationen. Es gibt Familien denen es gerade gut geht. Es gibt Familien, die schon vor Corona in der Krise waren und jetzt kommt Corona mit den Ängsten, die damit einhergehen und mit den Einschränkungen noch dazu. Es gibt Mütter und Väter, denen es gut geht. Es gibt Mütter und Väter, die eh schon unter Druck sind, weil sie eine Angststörung haben, depressiv sind, unter chronischen Schmerzen leiden, chronisch erschöpft sind … und jetzt kommt Corona mit den Ängsten die damit einhergehen und mit den zusätzlichen Belastungen noch dazu. Es gibt Familien, die freuen sich darüber, endlich mal so viel Zeit miteinander zu  verbringen. Es gibt Familien, die so viel Nähe nicht gewohnt sind. Es gibt Familien, die leben in einem Haus mit Garten. Es gibt Familien, die leben in einer kleinen Mietwohnung. Es gibt Familien, die können sich und das Schulkind gut organisieren. Es gibt Familien, denen das schwer fällt.

In China ist unter Corona die häusliche Gewalt um das 2-3fache gestiegen. Das Letzte, was Familien gerade brauchen ist unnötiger Stress. Bitte, liebe Schulleitungen und Lehrer/innen – ihr macht gerade eine großartige Arbeit – aber bitte nehmt den Druck raus. Weist Eltern und Schüler/innen darauf hin, dass die Aufgaben ein Angebot sind, aber dass die Familien auf ihre Grenzen achten sollen. Dass ein gutes Familienklima viel viel wichtiger sind als gemachte Schulaufgaben. Bitte, liebe Mütter und Väter – ihr macht gerade eine großartige Arbeit – aber bitte nehmt den Druck raus bzw. lasst ihn erst gar nicht rein :-). Dass es euch und den Kindern gut geht und dass die Stimmung in der Familie gut ist, ist viel wichtiger als gemachte Schulaufgaben.

Hausarrest für alle – wie schaffen das Familien?

Hausarrest für alle – wie schaffen das Familien?

Nun gibt es (noch) keine Ausgangssperre – aber Kitas und Schulen sind zu und die Möglichkeiten rauszugehen und andere zu treffen sind sehr eingeschränkt. Man soll so viel wie möglich zuhause bleiben. 24/7 zusammen zuhause – was bedeutet das für Familien?

Ein Juwel unter den Veröffentlichungen zum Thema Corona und Familien ist für mich die Dokumentation des Webinars „Hausarrest für alle – wie schaffen das Familien?“.
In einem interaktiven Videogespräch informiert Karl-Heinz Brisch (Kinder- und Jugendpsychiater, Bindungsforscher…): Was macht Corona mit uns Erwachsenen und mit den Kindern? Was ist die Herausforderung aus Bindungsperspektive? Was können Eltern ganz konkret tun? Was ist jetzt wichtig? Dann beantwortet Karl-Heinz-Brisch Teilnehmerfragen. Und das macht er super klar, Dinge auf den Punkt bringend und hilfreich.
Am Ende des Webinars wird darum gebeten, die Doku des Webinars und seinen Inhalt mit zu verbreiten. Das mache ich hiermit gerne. Die obige Verlinkung führt zu der Doku des Webinars. Hier eine kurze Zusammenfassung:

Corona macht etwas mit uns Erwachsenen. Es setzt bei jedem eine Dynamik in Gang, die mit mehr oder weniger Stress einhergeht. Die Frage ist: Wie bewältigen wir diesen Stress und unsere eigene Angst? Und: Und was bedeutet unser Stress für unsere Kinder?

Die zentrale Herausforderung für Eltern aus Perspektive der Bindungsforschung ist: Die Kinder spüren, dass etwas nicht stimmt. Sie spüren, dass die Erwachsenen unruhig sind, aufgeregt, vielleicht auch Angst haben. Ihr Tagesauflauf ist verändert. Sie dürfen nicht mehr in Kita oder Schule, dürfen ihre Spielkamerad/innen nicht mehr treffen, die Großeltern nicht mehr besuchen. All das verunsichert die Kinder, stresst sie, macht ihnen Angst. Sie suchen Schutz bei ihren Bindungspersonen, um bei diesen Schutz und Sicherheit zu finden. Je kleiner die Kinder, umso mehr suchen sie diese Sicherheit über körperliche Nähe und Körperkontakt. Das Problem: Mama oder Papa sind selber verunsichert, beunruhigt, gestresst, haben Angst. Diese Unsicherheit und Aufregung überträgt sich zum einen auf das Kind, zum anderen können die Eltern nicht mehr gut beruhigen, wenn sie selbst unruhig sind.

Wie zeigen Kinder, dass sie unsicher und gestresst sind?
Säuglinge und Kleinkinder weinen, sind unruhig, jammern, quengeln, schlafen und/oder essen schlechter, suchen vermehrt körperliche Nähe, klammern.
Kindergartenkinder sind motorisch unruhiger, aufgeregter, unzufriedener, können sich schlechter konzentrieren, schlechter ins Spiel finden, spielen weniger alleine, wollen vermehrt in der Nähe der Eltern sein, sind evtl. auch aggressiver z.B. im Kontakt mit den Geschwistern.
Schulkinder, die schon mehr Selbständigkeit und Unabhängigkeit gewohnt sind dürfen nicht mehr raus, sollen sich von ihren Freunden distanzieren, können sich nicht mehr austauschen. Auch sie zeigen evtl. vermehrt aggressives Verhalten und eine größere Unruhe. Vielleicht fällt es Ihnen schwer, sich auf die Schulaufgaben die sie jetzt zuhause machen sollen zu konzentrieren. Vielleicht brauchen auch sie die Eltern nun mehr als sonst und suchen häufiger ihre Nähe.
Jugendliche leben eigentlich davon, dass sie rausgehen und ihre Freunde treffen … nicht nur im Chat sondern auch real. Vielleicht finden sie die Corona-Maßnahmen blöd und übertrieben und sehen nicht ein, dass sie zuhause bleiben sollen. Vielleicht nehmen sie Corona sehr ernst und reagieren mit Angst und/oder depressivem Verhalten.

Was können wir tun?

Unglaublich wichtig ist, dass sich die Erwachsenen (immer wieder) beruhigen bzw. entspannen. Sie sind den Kindern sonst kein stabiles emotionales Gegenüber. Sie können die Kinder sonst nicht beruhigen. Folgende Maßnahmen sind hierzu hilfreich:

  •  Klar, wir möchten uns jetzt ständig informieren und das Web bietet dazu vielfältige Möglichkeiten. Wenn Sie Kinder betreuen – holen sie Infos strukturiert ein (2-3mal am Tag) ohne permanent online zu sein. Sonst heizen die Nachrichten das eigene Erregungsniveau immer wieder an.
  •  Gehen Sie auch mal alleine spazieren, atmen Sie durch, gewinnen Sie Abstand.
  •  Strukturieren Sie den Tag – das gibt allen Sicherheit.
  •  Nutzen Sie Entspannungsverfahren wie Autogenes Training, Yoga, Meditation oder Visualisierung (hierzu gibt es viele Angebote auch im Netzt … z.B. den Sicheren inneren Ort)
  • Begleiten Sie ihre Kinder altersgerecht. Die Kinder brauchen Sie und Ihre Zuwendung jetzt besonders. Kinder haben einen besonderen Fürsorge- und Schutzbedarf. Acht Sunden Home-Office und Kinderbetreuung geht nicht. Karl-Heinz Brisch appelliert hier an alle Arbeitgeber und wünscht sich auch eine klare Stellungnahme der Kanzlerin. Vor allem für Alleinerziehende ist das eine extreme Belastungslage. Und am Ende leidet das schwächste Opfer … das Kind.
  •  Haben Sie keine zu hohen Ansprüche an sich und ihre Kinder! Es ist eine Ausnahmezustand! Alles was hilft, ist erlaubt, auch mehr Medienzeit für die Kinder als üblich. “Ich arbeite jetzt im Home-Office und ihr spielt schön” – kann klappen, muss aber nicht… Spielen kann man halt auch nicht auf Knopfdruck und schon gar nicht, wenn man gestresst ist. Diese Haltung gilt auch für Schulkinder – wenn sie die Aufgaben die die Schule ihnen online aufgibt nicht schaffen (bzw. Sie als Erwachsener nicht schaffen, Ihr Schulkind bei den Aufgaben zu begleiten: Setzen Sie deswegen weder sich noch ihr Kind unter Druck. Karl-Heinz Brisch formulierte einen dringenden Appell an Schulleitungen und Lehrer/innen: Bitte entspannen Sie sich … erwarten Sie nicht zu viel … Familien haben gerade genug Stress … geben Sie nicht noch mehr Druck rein.
  •  Bei Eskalation in der Familie: “Stop” rufen – das kann ein Erwachsener oder ein Kind tun. Sie Situation unterbrechen, alle ziehen sich für eine Zeit zurück und kommen dann wieder zusammen um gemeinsam zu verstehen, was los war.
  •  Wenn Sie merken, dass Stress und Angst zu groß werden … holen Sie sich rechtzeitig Hilfe. Jede Stadt bietet Online-Beratungsangebote. Viele Psychotherapeut/innen haben auch ein Online-Angebot.
  •  Ein Appell an die Politik: Bitte schließt jetzt die Psychotherapie nicht, v.a. nicht die Kinderpsychotherapie!
  •  Haben Sie die Familien um sich herum im Blick … und schauen Sie, ob jemand ihre Hilfe braucht.

Gemeinsam schaffen wir es!