Ich war Anfang der 70er Jahre ein Kindergartenkind – in einer süddeutschen Kleinstadt. Die meisten Kinder meiner Gruppe waren in unserem Ort geboren, sie lebten mit Mutter und Vater und waren überwiegend katholisch. Pro Gruppe gab es maximal ein bis zwei Kinder, deren Eltern in der Türkei geboren waren. Erziehungsvorstellungen der Eltern waren sehr ähnlich.  Die Väter waren erwerbstätig, die Mütter versorgten die Kinder und den Haushalt. Wenn Frauen berufstätig waren, dann arbeiteten sie im eigenen Geschäft mit. Was Familien vor allem voneinander unterschied, war das Einkommen der Eltern.

Unser Sohn besucht eine katholische Kita in Trier. Er hat 4 engere Kindergartenfreunde: Ein Mutter ist allein erziehend, ein Elternpaar besteht aus einer in Frankreich geborenen und aufgewachsenen Mutter und einem in Griechenland geborenen und aufgewachsenen Vater, die Mutter von M. ist in Ungarn geboren und aufgewachsen – der Vater ist in Trier geboren und aufgewachsen, die Eltern von E. kommen aus Kasachstan und haben dort die ersten Jahre ihrer Kindheit gelebt und wir sind ein binationales lesbisches Paar und unsere Kinder sind als Pflegekinder zu uns gekommen. Und wir fünf Familien sind nur ein kleiner Ausschnitt der Kita-Vielfalt. Ca. die Hälfte aller Kita-Kinder gehört keiner Konfession oder einer anderen (als der katholischen) an.  Es gibt Patchworkfamilien, eine weitere Familie mit Pflegekindern,viele andere Nationalitäten, einen allein erziehenden Vater, Mütter die ganztags, halbtags oder gar nicht einer Erwerbstätigkeit nachgehen, usw. .

Kinder wachsen heute in einer von Vielfalt geprägten Gesellschaft auf. Unsere Welt ist – zum Glück – bunter geworden. Reich an verschiedenen Lebens- und Familienmodellen – und eines ist so gut wie das andere.  Und v.a. auch: eine Lebensform ist so normal wie die andere!  Als normal erleben Kinder ihre eigene Lebensform jedoch nur, wenn die Kita diese Lebensform spiegelt. Zum Beispiel: Welche Bilderbücher bietet eine Kita an? Können sich alle Kinder darin mit ihrer Familienform wiederfinden? = für “unsere” Kita: gibt es in den Büchern allein erziehende Mütter und Väter, gibt es Kinder, die zwei Mütter und/oder zwei Väter haben, gibt es Mehrsprachigkeit, verschiedene Hautfarben, erwerbstätige und nicht erwerbstätige Mütter, gläubige, andersgläubige und nicht gläubige Menschen …? Über solche Dinge zeigt sich, welche Norm eine Kita vertritt. Passen alle Kinder, passt die Vielfalt der realen Familienverhältnisse in diese Norm oder wird einzelnen Kindern signalisiert, dass sie bzw. ihre Familien “nicht normal” sind? (…). Aus dieser Perspektive ist der gut gemeinte Vater-Kind-Nachmittag, der an der Eingangstür beworben wird, zu hinterfragen. Mit diesem Angebot wird halt auch eine Norm vermittelt – auch wenn das gar nicht die Absicht ist.

Dieses kleine Beispiel zeigt auch, wie herausfordernd es ist, der Lebensvielfalt in der Kita gerecht zu werden. Uns fällt oft gar nicht auf, dass wir über das, was wir tun. Normen weiterschreiben. Und uns fällt oft gar nicht auf, wie einseitig eine Kita eine bestimmte Kultur vertritt – obgleich die Vielfalt der Kinder ungleich größer ist. Kinderbücher, Puppen und andere Spielfiguren zeigen vorwiegend hellhäutige Kinder, die Bücher erzählen v.a. Geschichten aus dem Leben deutscher bürgerlicher Mittelschichtsfamilien.

Die Wirkung: Kinder, die sich von dieser Monokultur unterscheiden, empfinden sich als “anders” – und erhalten auch kaum Unterstützung, die eigenen Lebenserfahrungen zum Ausdruck zu bringen. Ein Beispiel: Alle Bilderbücher zeigen Mütter, die liebevoll den Tisch decken, eine um diesen fröhlich sitzende Familie incl. Vater und Geschwisterkind, geduldige und kompetente Eltern, gemeinsame Unternehmungen, am Abend die Gute-Nachtgeschichte und und ein einladendes Kinderbettchen in einem schönen Kinderzimmer. Wie mag ein Kind sich fühlen, dessen alltägliche Erfahrungen andere sind? Wer hilft ihm, seine eigene Lebenswelt wahrzunehmen und eine Sprache dafür zu finden.

Vielfalt mögen ist leicht und zeitgemäß, Vielfalt leben nicht.

Die rheinland-pfälzische Initiative Queernet hat es sich zur Aufgabe gemacht, zu einer gelebten Vielfalt in Kitas und Schulen beizutragen. Queernet wird vom Ministerium für Integration, Familie, Frauen und Kinder gefördert und stellt die Akzeptanz homosexueller, bisexueller und transsexueller Lebensformen, sowie die Freiheit von vorgegebenen Geschlechterrollen in den Mittelpunkt.

In Trier wird Queernet von Susanne Schwarz vertreten. Sie arbeitet mit angehenden Erzieherinnen und besucht Kita-Teams, um diese dabei zu unterstützen in ihrer Einrichtung ein Klima zu schaffen, in der sich alle Menschen wohl und akzeptiert fühlen. Queernet hat den sog. Kita-Koffer entwickelt. Das ist ein realer roter Koffer mit Bilderbüchern und Begleitmaterial zum Thema Vielfalt. Interessierte Kitas können sich diesen für einige Zeit ausleihen und erhalten auch Hilfestellung, um ihn in ihrer täglichen Arbeit einzusetzen.

Es hat uns sehr gefreut, dass “unsere” Kita auf unsere Anregung hin Susanne Schwarz für einen Abend ins Team eingeladen hat. Auch dass ist gelebte Erziehungspartnerschaft – dass Eltern Möglichkeiten erhalten, sich mit ihren Interessen und Perspektiven einzubringen.