Über die Wilde 9 habe ich schon ein paar Mal geschrieben:
Darf ich vorstellen: Die Wilde 9
Inspiration 1 aus der Wilden 9: Das Kokeltablett
Inspiration 2 aus der Wilden 9: Aus schönen Dingen bunte Bilder legen
Inspiration 3 aus der Wilden 9: Die Linsenwanne
Die Wilde 9 ist eine Kita, die sich u.a. durch ihre Beziehungsorientierung auszeichnet. Respektvolle und gleichwürdige Beziehungen zu den Kindern werden nicht nur im Konzept groß geschrieben, sondern auch gelebt. Dies erfordert von den Erwachsenen eine beständige Weiterentwicklung ihrer (Fach)Persönlichkeit. Entsprechend kommt der Erziehungspartnerschaft zwischen den Eltern und den Mitarbeitern in der Wilden 9 eine große Bedeutung zu. Anja Niemand, Mit-Gründerin der Wilden 9 und Mitarbeiterin war so freundlich, für unser Projekt “Erziehungspartnerschaft” hier in Trier einen Text zu verfassen und uns an ihren Erfahrungen teilhaben zu lassen. Hier der Beitrag von Anja Niemand:
Das pädagogische Team sollte eine gemeinsame Wertegrundlage erarbeitet haben. Unsere Wertegrundlage ist das Menschenbild der Bahá’í- Lehren.
In einigen Sätzen beschrieben:
- Jeder Mensch wird als „Bergwerk, reich an Edelsteinen von unschätzbarem Wert“ betrachtet.
- Jeder Mensch strebt bewusst oder unbewusst danach, seine in ihm liegende „Bestimmung“ zu erfüllen, sowohl auf geistiger wie auch auf körperlicher Ebene.
- Jeder Mensch wird mit sinnvollen, „guten“ Eigenschaften und Anlagen geboren.
- Jeder Mensch hat die Freiheit und die Fähigkeit, für sich selbst sinnvolle Entscheidungen zu treffen.
- Alle Menschen, unabhängig von Alter, Geschlecht oder Volkszugehörigkeit sind gleichwürdig.
Dann gibt es einige psychologische Annahmen, die die Arbeit des Teams beeinflusst, die u.a. aus den Erfahrungen von Jesper Juul hervorgegangen sind.
- Jeder Mensch hat das Bedürfnis für andere Menschen wertvoll zu sein. Teil einer Gemeinschaft/ Familie zu sein ist ein existenzielles Bedürfnis jedes Menschen.
- Jeder Mensch steht im inneren Konflikt, einerseits seine Integrität schützen/ wahren zu wollen, anderseits mit den Menschen, für die er wertvoll sein möchte, zu kooperieren. Das schafft ein Spannungsfeld, das immer zugunsten der Kooperation mit den Menschen ausfällt, für die jemand wertvoll sein will. Jedoch kann das Integritätsgefühl eines Menschen dadurch sehr verletzt werden.
- Jegliche Beziehungen können nur gelingen, wenn beteiligte Menschen einen Kontakt auf gleichwürdiger Ebene miteinander etablieren.
- Jede Familie hat ihre individuelle Prägung. Erwachsene und Kinder einer Familie treffen bewusst oder unbewusst Entscheidungen darüber, was ihnen wichtig ist, wie sie miteinander leben wollen. Die Qualität ihres Zusammenlebens wird jedoch vorrangig durch die Art und Weise ihres Umgangs miteinander geprägt. Jede Familie ist eine energetische Einheit, da alle füreinander wertvoll sein möchten und alle Mitglieder für die Gemeinschaft „arbeiten“, um Entwicklung zu ermöglichen.
Aus diesen Annahmen ergeben sich Überlegungen in Bezug auf die Qualität von Erziehungspartnerschaften zwischen Eltern und Mitarbeitern.
- Kinder als das wichtigste Gut ihrer Eltern ansehen
Wenn Eltern entscheiden, ihre Kinder anderen Menschen anzuvertrauen, z. B. sie in einen Kindergarten zu schicken, dann erweitern sie ihre Familie um Menschen, denen sie darin vertrauen müssen, dass ihr Wertvollstes, nämlich ihre Kinder sowohl Raum für Wachstum bekommen als auch Schutz und liebevolle Beziehung und Begleitung. Das ist ein sehr kritischer Prozess, der bei Eltern bewusst oder unbewusst starke Gefühle auslösen kann. Um dieses Vertrauen, das die Eltern den Pädagogen entgegenbringen, zu würdigen, und der Unsicherheit Raum zu geben, ist es den Mitarbeitern wichtig, die Eltern einerseits in den Kindergarten einzuladen, ihn kennenzulernen und dabei so transparent wie möglich zu sein, anderseits auch die Familie zu besuchen, sich entspannt kennenzulernen, die Geschichte des Kindes zu erfahren, die Besonderheiten kennenzulernen und sich selbst sichtbar zu machen. Die Erfahrung des Teams ist, dass Eltern dankbar sind für diesen Raum, der ihnen angeboten wird, in dem sie erfahren, dass sie nicht „falsch“ sind, dass sie ernst genommen werden, dass Unterschiede als Bereicherung gesehen werden, dass ihre Kinder so, wie sie sind, bei ihnen willkommen sind und so auch ihre Eltern.
- Professionelle Haltung der PädagogInnen
Hier können die Eltern erfahren, auf welche Weise die Pädagogen mit dem umgehen, was in Zukunft für sie wichtig sein wird. Dabei ist natürlich eine professionelle Haltung wichtig, die jedoch sehr persönlich sein sollte. Persönlich bedeutet: ich zeige mich mit meinen Gefühlen, Gedanken und Erfahrungen und biete sie an. Das sollte nicht mit „privat“ verwechselt werden. Wenn sich ErzieherInnen „privat“ zeigen, kann es passieren, dass sie ihre Unabhängigkeit gefährden, sich mit Eltern „verstricken“. Dann kann es schwierig werden, auch kritische Punkte anzusprechen oder sich persönlich abzugrenzen, wenn das nötig werden sollte.
- Umgang mit schwierigen Themen
Als Mitarbeiter toleriere ich die unterschiedlichen Wertesysteme von Familien in dem Wissen, dass es da oft kein „richtig“ oder „falsch“ gibt, ausgenommen, wenn Gewalt in Familien ein Problem ist. Erleben wir, dass es einem Kind nicht gut geht, dann fragen wir nach ohne Prognose oder Vorurteil. Hier geht es auch um die Art und Weise, wie wir mit den Eltern ins Gespräch kommen und die darüber entscheidet, wie weit sich Eltern öffnen können oder wollen, wie weit sie Anregungen oder auch Hilfe in Anspruch nehmen können oder wollen. In den meisten Fällen sind Eltern dankbar dafür über ihre Lebenssituation sprechen zu können. Sie fühlen sich „gesehen“ und entlastet. Oft verändert allein ein solches Gespräch die „Energie“ in einer Familie und das Kind erscheint uns im Kindergartenalltag entspannter und kraftvoller. Es gibt immer wieder die Situation, dass wir Familien intensiver begleiten durch kontinuierliche Gespräche über die Entwicklung ihres Kindes im Kindergarten.
- Elterngespräche
Eltern können jederzeit um Elterngespräche bitten oder sich in eine Liste mit Terminen für Elterngespräche eintragen. Diese Gespräche werden dann vom gesamten Team vorbereitet während einer Teamsitzung anhand eines Entwicklungsbogens, den das Team im Laufe der Jahre für sich entwickelt hat. Dieser Bogen ist dann Gesprächsgrundlage für das Elterngespräch, das etwa 1 Stunde dauert.
- Elternabende
Vierteljährig finden Elternabende statt, die so strukturiert sind, dass Eltern sich besser kennenlernen können, mit einem pädagogischen Impulsreferat zum Austausch angeregt werden und während der das pädagogische Team Einblicke in die aktuelle Situation des Kindergartenalltags gibt. Oft gibt es auch „Organisatorisches“, das jedoch nie im Mittelpunkt eines Abends steht. Für die MitarbeiterInnen ist es wichtig, gemeinsames Gespräch und Austausch zu initiieren, eine Atmosphäre zu schaffen, in der alles sein darf- auch konfliktträchtige oder kritische Beiträge oder Themen. Oft werden auch gemeinsam Feste vorbereitet.
- Feste
Die Feste im Kindergarten sind die Höhepunkte des Kindergartenjahres und werden von den MitarbeiterInnen, Eltern und Kindern getragen. Sie schaffen ein starkes Gemeinschaftsgefühl und auch eine starke Identität mit dem Kindergarten. Sie sind so ausgerichtet, dass alle beitragen und mithelfen können, alle für die Feste in ihrem Maß mitverantwortlich sind. Drei Feste sind Familienfeste: Das Sommerfest, das Herbstfest und das Lichterfest. Den Fasching feiern die Kinder mit ihren BegleiterInnen.
- Sonstiges
Im Kindergarten gibt es eine Elternbibliothek mit Büchern, die uns relevant erscheinen und die von Eltern und Mitarbeitern ausgeliehen werden können.
In unterschiedlicher Form finden Elternseminare statt, abhängig vom Interesse der Eltern. Sie werden strukturiert von den MitarbeiterInnen angeboten oder finden als Open- space Seminare statt.
Eltern unterstützen sich gegenseitig, indem sie Kleidung im Kindergarten tauschen, Fahrgemeinschaften organisieren oder ein Bauer die Eltern mit Bio- Gemüsekisten versorgt.
Anmerkung: die Aufzählung ist sicher nicht vollständig und das Thema unterliegt der Entwicklung.
Anja Niemand, Januar 2015
Liebe liebe Anja,
so herzlichen Dank für Deinen umfassenden und differenzierten Text zu Erziehungspartnerschaft – wie ihr sie versteht und lebt. Ich weiß um Deinen vollen oder vielleicht besser: erfüllten Alltag und bin Dir sehr dankbar, dass Du dir dafür die Zeit genommen hast. Wir wollen und müssen hier in Trier unseren eigenen Weg gehen, aber es ist uns so wichtig, uns von anderen inspirieren zu lassen und v.a. von jenen zu lernen, die uns auf diesem Weg voraus sind. Vielen Dank, dass du uns an euren Überlegungen und Erfahrungen teilhaben lässt.
Wir haben hier in Trier eine Projektgruppe – bestehend aus Eltern und Erzieherinnen – gegründet und werden jetzt erst mal über den Zeitraum ca. eines Jahres zum Thema Erziehungspartnerschaft arbeiten und diese weiterentwickeln. Dein Text wird uns dabei eine große Hilfe sein. Ganz liebe Grüße an Dich und auch an Hannes aus Trier, Susanne
Liebe Susanne- wie schon gesagt, ist diese Kurzbeschreibung sicher nicht vollständig. Falls jemand etwas genauer wissen möchte oder etwas nicht verständlich erscheint- bitte gebt mir Rückmeldung. Dann kann ich da konkreter drauf eingehen.
herzliche Grüße,
Anja