Seit einiger Zeit arbeite ich (Karin Weyer) kontinuierlich mit schwersttraumatisierten Asylbeweber/innen. Diese Menschen haben in ihren Herkunftsländern Kriege, politische Unruhen, Folter, Gewalt, Massenvergewaltigungen… erlebt. Durch den ungesicherten Aufenthaltsstatus und die Traumatisierungen ist dies eine doppelt schwere Situation.

Für Traumebearbeitung gilt meist als Voraussetzung eine ausreichende Stabilität im Alltag (Wohnsituation, soziales Netz, Partnerschaft, berufliche Situation), eine ausreichende psychische Stabilität (z.B. durch die Fähigkeit, belastende Gefühle zu steuern) und äussere Sicherheit. All dies gilt für Asylbewerber/innen nur bedingt.

Stabilisierung in dem Bereich Wohnen ist nicht möglich. Die Wohnungen werden zugeteilt und sind bezüglich Grösse oft nicht für einen langfristigen Aufenthalt gedacht.
Im Bereich Berufstätigkeit kann jemand nach 9 Monaten, sofern der Asylantrag nicht abgelehnt wurde, eine Stelle suchen und alle 6 Monate eine AOT (Autorisation d’occupation temporaire) bekommen. Das Projekt Go4Lunch der ASTI bietet auch die Möglichkeit der Weiterbildung und Beschäftigung.

Zum sozialen Netz: mindestens ist der Kontakt zum noch bestehenden sozialen Netz im Herkunftsland schwierig (z.B keine oder schlechte und teure Telefonverbindungen), häufig wurden Angehörige umgebracht oder ihr Verbleib ist ungewiss. Hier in Luxembourg: Traumatisierte aus unterschiedlichen Ländern leben manchmal in einem Asylbewerberheim miteinander, dies kann zu einer weiteren Tabuisierung der erlebten Traumata und letztlich oft zur Isolation führen.
Schwertraumatisierten Menschen fällt es oft schwer die Angebote der Nichtregierungsorganisationen (ASTI, CLAE, Caritas…) anzunehemen und zum Aufbau eines neuen sozialen Netzes zu nutzen. Diese Menschen sind so mit ihrer Vergangenheit beschäftigt, dass es ihnen schwerfällt die Möglichkeiten zu erkennen und zu nutzen.

Zur psychischen Stabilität: “Wie soll ich mich z.B. ablenken, wenn ich nur 4 Teller habe und nach einer halben Stunde die ganze Wohnung geputzt ist?” “Wie komme ich in Luxembourg an ein Buch in meiner Sprache?”

Zur äußeren Sicherheit: “Hier brauche ich wenigstens keine Angst zu haben auf der Strasse erschossen zu werden&”. Doch, wenn der Asylantrag abgelehnt wird, droht die Abschiebung in das Land in dem die Traumatisierungen stattfanden.

Trotzdem habe ich mich angesichts der Not dieser Menschen dazu entschlossen ihnen (trauma)therapeutische Unterstützung inclusive Traumabearbeitung anzubieten.

Mir ist dabei durchaus deutlich, dass Psychotherapie immer auch eine Individualisierung von Problemen bedeutet. Gesellschaftliche und politische Maßnahmen werden dadurch nicht obsolet sondern sind dringend notwendig. Als Psychologin und Psychotherapeutin ist es mir wichtig meinen fachlichen Beitrag zu leisten.

Ich möchte hier von meinen Erfahrungen berichten. Die zitierten Fälle sind so verfremdet, dass der Schutz der Personen gewährleistet ist.
Im Vorfeld der Arbeit habe ich mir viele Gedanken darüber gemacht, ob ein gezieltes traumaterapeutisches Vorgehen überhaupt angemessen ist. Eine Frage, die mich im Vorfeld beschäftigt hat, war ob die oben beschriebenen Voraussetzungen ausreichend sind. Eine andere Frage war allerdings die, ob es vertretbar ist, die Methoden, die uns in der Tarumatherapie zur Verfügung stehen nicht anzubieten und anzuwenden. Oder auch: Ist Stabilisierung wirklich das Einzige, was machbar ist. Oder wem muten wir das Ganze eigendlich nicht zu? Mehrere meiner KlientInnen sind in verschiedenen europäischen Ländern über Jahre (eine sogar über 10 Jahre) hinweg psychiatrisch und psychotherapeutisch behandelt worden, ohne dass die erlebten Traumatisierungen auch nur ein einziges mal explizit thematisiert wurden.

Inzwischen bin ich zu der Meinung gekommen, dass die momentane äussere Stabilität genutzt werden kann, um traumabearbeitend zu intervenieren, es zumindest zu versuchen.

Hier ein kleiner Einblick in die Erfahrungen, die ich dabei mache:

Einige der Menschen, die ich begleite, haben “normale” Kindheiten. Bei manchen liegen die Traumatisierungen noch nicht lange zurück, so daß es noch nicht zu Chronifizierungen gekommen ist. Hier ist eine gezielte Traumatherapie mit guten Erfolgen relativ schnell möglich, da an die gute psychische Stabilität vor den schrecklichen Erlebnissen angeknüpft werden kann.

Bei Menschen mit belasteten Kindheiten und schwersten Traumatisierungen über Jahre oder Jahrzente, ist natürlich beides im Auge zu behalten und eine langsamere Vorgehensweise indiziert.

Bei einigen arbeite ich mit Übersetzer/in. Hierdurch wird das Vorgehen verlangsamt (das hin- und her Übersetzen braucht einfach Zeit). Bei manchen kulturellen Unterschieden fungieren die Übersetzer auch als Vermittler zwischen den Kulturen. Bei einigen ist leider keine Übersetzung möglich, so dass die Therapie dann etwas holperiger wird. Andere wieder sprechen fliessend eine der auch von mir beherrschten Sprachen. Diese Arbeit mit Migrant/innen aus den verschiedensten Kulturen bringt mich immer wieder in Situationen, in denen mir meine eigene kulturelle Prägung deutlicher bewusst wird. So habe ich einmal die Bildschirmtechnik anhand der Kinometapher erklärt und bekam zur Antwort: “Entschuldigung aber ich war noch nie in einem Kino.”

Ich werde immer wieder gefragt, wie ich das aushalte und wie ich mich abgrenze von den meist menschengemachten Grausamkeiten. Manchmal grenze ich mich einfach nicht ab und lasse mich tief berühren von dem was Menschen Menschen antun. Ja und so spüre ich Trauer, Wut, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Ich erlaube mir das und drücke diese Gefühle auch aus, manchmal in den Therapien, manchmal für mich, manchmal im kollegialen Austausch. Natürlich sorge ich auch für Ausgleich und auch für Grenzen (in dem ich z.B. nur eine begrenzte Anzahl von Therapieplätzen zur Verfügung stelle).

Zum Abschluss noch ein paar Beispiele aus der konkreten Arbeit:

– Ein Highlight war für mich, dass bei einer Klientin mit starken Intrusionen, nach 4 Stunden die Symptome fast verschwunden sind. Seit über einem Jahr ist die Klientin nun stabil und hat eine deutlich höhere Lebenszufriedenheit erreichen können.

– Eine andere Klientin ist nach über 50 Stunden und dem Bearbeiten einiger traumatischer Situationen langsam bereit sich den für sie schlimmsten Traumatisierungen zu nähern.

– Bei einer anderen Klientin mit kleinen Kindern habe ich eine entwicklungspsychologische Beratung in Zusammenarbeit mit Susanne gemacht. Die Klientin hatte Angst, aufgrund ihrer Symptomatik die Kinder nicht adäquat begleiten zu können (vgl. auch unseren Vortrag zu Trauma und Bindung). Hier konnte gezielt Einfluss auf die Beziehung zw. Eltern und Kindern genommen werden.

Ich möchte damit nicht behaupten, dass diese Vorgehensweise allein heilbringend ist, auch gibt es Rückfälle bis hin zu Suizidversuchen. Dennnoch empfinde ich die Arbeit als befriedigend. Als Therapeutin habe ich an mich den Anspruch auch in sogenannten schwierigen Situationen oder bei sogenannt schwierigen Fällen (eigendlich ja Menschen in grosser Not) das zu leisten, was mir möglich ist. Und nach gut 1 ½ Jahren kann ich sagen, es ist deutlich mehr möglich als ich gedacht habe.