Ein paar Gedanken zur derzeit hofierten flächendeckenden institutionellen Fremdbetreuung. 

Anlass für diesen Blogbeitrag sind zwei aktuelle Ereignisse: 1.Luxemburg will das Kindergeld kürzen und das so gewonnene Geld in die  Kinderbetreuungseinrichtungen investieren –  luxemburgische Eltern wehren sich mit der Initiative “Méi Elterern – manner Staat” dagegen. 2. In Deutschland wird gerade diskutiert, im Grundschulbereich Ganztagsschulen verpflichtend zu machen.

Der Werdegang eines Kindes: Krippenkind – Kitakind – Schulkind

Der Werdegang eines Kindes steht meist schon vor der Geburt fest: Kaum auf der Welt wird es ein Krippenkind, mit 3 Jahren (in Deutschland) ein Kindergartenkind und mit 6 ein Schulkind – bald ein Ganztagesschulkind. So die derzeitige Propaganda im Sinne von Margret Thatchers “There is no alternative!”. In Deutschland haben jetzt auch Einjährige ein Recht auf einen Krippenplatz. Damit scheint aber auch ein Druck einher zu gehen, Kinder dann auch immer früher fremd betreuen zu lassen. Es gibt Quoten, die erfüllt werden müssen und die Presse nennt regelmäßig die Bundesländer, die ihren Job hierbei besonders gut machen bzw. diejenigen, die hinterherhinken. Alles natürlich unter dem Denkmäntelchen “Gut für die Kinder” bzw. auch “gut für die Frau”. Schön, dass sich die Politiker – immer noch überwiegend Männer – so dafür engagieren, dass es uns Frauen gut geht und dass wir uns verwirklichen können. Da reihen sich auch weibliche Politikerinnen ein bzw. stellen sich an die Spitze.

Die Argumentation: Gut fürs Kind und gut für die Frau!

Die Argumentation ist einfach: Als erstes die Behauptung, dass Fremdbetreuung gut für die Entwicklung der Kinder ist, da sie ihnen mehr bieten kann als die Eltern. ( Hier fehlt doch was oder? Es wird nie gesagt, was auch die beste Fremdbetreuung nicht bieten kann: das lebenslange Dasein, Interesse und die Liebe.)

Das zweite Argument: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist für die Frauen wichtig. Sprich: Frauen sollen so schnell wie möglich und am Besten mit einer Vollzeitstelle zurück auf den Arbeitsmarkt. ( Nur nebenbei: Warum wird sich eigentlich weniger dafür eingesetzt, dass Männer weniger Stunden pro Woche arbeiten und mehr Zeit mit den Kindern und deren Betreuung verbringen?) Und: Manchmal frage ich mich ob mit “Vereinbarkeit von Familie und Beruf” nicht nur die Anpassung des Familienlebens an die Arbeitswelt und letztlich die Anpassung der Kinder an die Arbeitswelt gemeint ist. Bei einer besseren “Vereinbarkeit” müssten sich beide Seiten – die Familien und die Arbeitswelt – bewegen, letzteres sehe ich kaum.

Die Komplexität der Wirklichkeit reduziert auf ein “Eindenk” – dem alle folgen:

Gut für Kinder ist eine familienergänzende Betreuung in entsprechenden Institutionen und gut für Frauen ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. So das derzeitige “Eindenk”. Karin nennt es immer so, wenn das Denken eingeschränkt ist auf eine einzige Möglichkeit zu denken. “Eindenk” ist einfacher als “Vieldenk” – und nicht so anstrengend … . Die Reduktion auf “Simplizität” ist leichter, als sich der Komplexität des Lebens zu stellen.

Die Wirklichkeit ist viel komplexer

So sieht es nämlich aus, das reale Leben: es ist vielfältig!

Alternativen im Denken zulassen bedeutet z.B. für die Krippenbetreuung:

Das Kind auf die Welt bringen und dann neugierig und forschend gucken: Was für eine Mutter / was für ein Vater bin ich denn? Wie kann ich mein Muttersein / mein Vatersein leben, so dass es sich gut und richtig anfühlt, passend für mich? Was für ein Kind haben wir denn da bekommen? Kommt es z.B. gut zurecht mit vielen Reizen oder ist es schnell überfordert und irritiert?

Meist aber ist das Haus schon gekauft oder gebaut oder im Kopf vorhanden als “wichtig” – die Notwendigkeit zweier Einkommen steht fest – und damit steht auch der Termin für den Krippeneintritt bereits in der Schwangerschaft. So machen es alle und so ist es ja auch gut fürs Kind – sagen alle … .

Eltern vergeben sich unter dem Diktat des Eindenks oft viele Chancen. Die Chance zur Neuorientierung, zur Persönlichkeitsentwicklung, zum Wertewandel – z.B. zur Reduktion des Lebensstandards zugunsten von Beziehung und Zeit. Sie vergeben sich oft die Chance, sich und ihr Leben durch ein Kind verändern zu lassen. Achtsames Wahrnehmen und Spüren, das Vertiefen der Beziehung zu sich und zum Anderen ist einfach schwer, wenn Terminkalender und To-do Liste immer voll sind … .

Alternativen im Denken zulassen bedeutet z.B. für den Kindergartenbesuch:

Auch wenn – sobald das Kind 3 ist – jeder soziale Kontakt mit der Frage beginnt “Ist er/sie denn schon im Kindergarten?” begleitet von der unausgesprochenen aber deutlichen Erwartung, dass das aber nun spätestens jetzt passiert sein muss … – sich die Freiheit nehmen zu gucken: Wo genau steht unser Kind denn in seiner emotionalen und sozialen Entwicklung? Ist es wirklich der Eintritt in eine außerfamiliäre Kindergruppe, der jetzt ansteht (und das kann ja sein …) oder braucht das Kind andere Erfahrungen, z.B. noch viel körperliche Nähe zu Mutter/Vater und in deren Anwesenheit  das Knüpfen / Vertiefen neuer Kontakte? Vielleicht ist es gut, ein Kind erst mit 4 Jahren in den Kindergarten zu geben. Vielleicht – wenn das familiäre Umfeld reich genug ist an vielfältigen sozialen Kontakten – ist es auch stimmig, dass das Kind bis zur Einschulung zu Hause bleibt. All das ist denkbar und soll denkbar sein … auch und gerade in Zeiten des “Eindenks”.

Der Ganztagesbesuch der Kita ist für die meisten Kinder zuviel – aber da muss das Kind halt durch – die Erwachsenen brauchen das so in ihrer Welt. O.k., aber dann Erwachsene benennt das auch als euer Bedürfnis und übernehmt die Verantwortung – und sagt nicht, dass das gut so für das Kind wäre.

O-Ton einer Erzieherin zu einer Mutter im Kontext einer schwierigen Eingewöhnung: “Die meisten Kinder kommen früher oder später gerne”. Wie ignorant angesichts der Tatsache, dass die meisten Kinder einfach keine Wahl haben. Und wie einfach für die Erwachsenen, die sich dann nicht mit schlechten Gefühlen herumschlagen müssen. Das Kind geht ja gerne.

Alternativen im Denken zulassen bedeutet für die Schule z.B.:

Der angedachten Verpflichtung zur Ganztagesschule liegt der Gedanke zugrunde, dass die meisten Elternhäuser keine Bildungshäuser sind, viele Eltern parken die Kinder eh nur vor dem Fernseher oder stellen sie mit dem Nitendo ruhig … da geht das Kind doch besser ganztags in die Schule. Und weil viele Eltern das nicht einsehen – in Rheinland Pfalz nehmen beklagenswerterweise viele Eltern das Ganztagesangebot nicht wahr – soll es nun – zum Wohle des Kindes natürlich – verpflichtend werden.

Die Alternativen im Denken sind vielfältig und reichen bis zu  André Stern, der nie in die Schule gegangen ist … und trotzdem oder vielleicht deswegen? im Leben nicht gescheitert ist.

Es reicht!

Irgendwie – jetzt reicht es – und grenzt an eine pauschale Diffamierung der Familie!

Wir z.B. haben uns entschieden, unsere Kinder ungefähr die ersten 4 Jahre selbst zu betreuen. Das erfordert, dass wir unsere Konsumgewohnheiten mehr oder weniger drastisch ändern. Vorher waren wir DINKs – Double Income No Kids. Jetzt arbeitet eine von uns gar nicht mehr und die andere auch weniger wie früher. Da geht vieles einfach nicht mehr – dafür geht was anderes … . Wir bieten unseren Kindern in unserer Familie eine unperfekte, aber von Liebe getragene Umgebung. Das “unperfekt” möchten wir nicht stilisieren – wir Großen haben einfach unsere Schwächen und Stärken, unsere Eigenarten und Macken. Wir bemühen uns, uns weiterzuentwickeln, um den Kindern gerechter zu werden, um sie besser auf ihrem Weg begleiten zu können und um selber in unserer Perönlichkeitsentwicklung ein Stück voranzukommen. Das gelingt uns manchmal, nicht immer, so ist es einfach … . Familie ist nicht vollkommen – zumindest unsere nicht. Was uns aber gelingt: Ein lebendiger Familienalltag. Wir leben in vielfältigen Beziehungen – bekommen Besuch und gehen besuchen. Wir machen Dinge zusammen – kaufen ein, kochen, gärtnern, handwerken, gehen mit den Katzen zum Tierarzt, machen Ausflüge, lesen, spielen  … und erleben dabei viel. Wir erleben viel Freude miteinander (und sind auch manchmal völlig genervt voneinander). Insgesamt scheint es uns zu gelingen, eine Umgebung zu gestalten, in der die Kinder (und wir Erwachsenen auch) ganz gut gedeihen und sich entwickeln. Und: Was uns gelingt, trauen wir der ein oder anderern Familie doch auch zu …. 🙂

Es ist ein Unding, dass Eltern ständig unterstellt/suggeriert wird, für ihre Kinder nicht ausreichend zu sein … dass sie die Institutionen brauchen … und das ganze immer unter dem Deckmäntelchen “Gut für die Kinder” und nicht “Gut für die Erwachsenen”, “Gut für die kapitalistische Wirtschaft”.

Wir wünschen uns einfach, dass dieses “Eindenk” aufhört, dass mehr Menschen es wagen, in Alternativen zu denken und dass die Politik endlich Vielfalt unterstützt.

Es gibt Familien, für die passt es – einschließlich aller Beteiligten – wunderbar, dass beide Elternteile / oder entsprechend bei Alleinerziehenden die/der Eine erwerbstätig sind und das Einjährige halbtags eine gute Krippe  oder eine Tagesmutter/einen Tagesvater besucht. Genauso, wie es Kinder, Mütter, Väter gibt, für die das nicht passt.

Es gibt Kinder, die wachsen auch ohne Schulbesuch zu umfassend gebildeten und lebenstauglichen Menschen heran – vorausgesetzt sie leben mit Erwachsenen, die ihren Selbstbildungsprozess gut unterstützen können und wollen. Und es gibt Kinder, für die passt es, zur Schule zu gehen … und es gibt wunderbare Schulen (leider noch nicht in ausreichendem Mass, aber es gibt sie) … .

Vieles ist möglich … aber eines ist sicher: Wenn die, die das klassische Bildungssystem durchlaufen haben (und die das jetzige mitgestalten) nicht in der Lage sind, in Alternativen zu denken, Komplexität erfassen zu können und über den Tellerrand zu schauen – dann sollten wir dieses klassische System wirklich überdenken!

 

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