Waad al-Kateab bekommt ihr erstes Kind mitten im Syrien-Krieg. Über fünf Jahre filmt sie ihr Leben im belagerten Aleppo. Sie macht daraus ein filmisches Tagebuch für ihre Tochter Sama: “Für Sama”. Die ARD berichtet in Panorama über die Doku und zeigt Ausschnitte. “Für Sama” zeigt unerträgliche Szenen aus dem Innersten des Krieges, erschüttert und geht unter die Haut. Eigentlich sollte der Film jetzt in den deutschen Kinos anlaufen, das wurde wegen der Corona-Pandemie aber erst mal gestoppt.

Warum ich darüber berichte? Weil die Filmszenen auch mich erschüttern … und mich sehr nachdenklich machen. Waad al-Kateab zu Beginn ihrer Doku: “Wir haben nicht gedacht, dass die Welt dies zulassen würde”. Wir haben es zugelassen. Wäre es wirklich nicht möglich gewesen, einzugreifen, zu helfen?

Es war so oft so vieles nicht möglich … und jetzt zeigt die Corona-Pandemie was möglich ist, was wir möglich machen können, wenn wir wollen. Es ist möglich

  •  die Wirtschaft runterzuschrauben und in Kauf zu nehmen, dass das Bruttoinlandsprodukt einbricht
  •  unseren Konsum einzuschränken, in dem wir die Geschäfte schliessen
  •  das Prinzip “Wachstum” außer Kraft zu setzten
  •  massenhaft Geld z.B. für die Unterstützung der Wirtschaft auszugeben (was vorher z.B. für Schulsanierungen auf gar keinen Fall da war …)
  •  den Verkehr herunterzufahren und den Flugverkehr so gut wie ganz einzustellen
  •  die Schulen für Monate zu schließen und die Digitalisierung des Unterrichts voranzutreiben

Das Argument “kann man nicht machen” ist jetzt obsolet … man wird es nach der Pandemie so nicht mehr verwenden können und das ist gut so. Spätestens jetzt müsste jedem klar sein, dass das schon immer nur eine faule Ausrede fürs Nichtstun war.

Es ist nicht nur Syrien. Ich erinnere mich an die Schreckensbilder aus Äthiopien, Ruanda, Bosnien, Somalia. Kinder, die bis auf die Knochen abgemagert waren, Kinder und Erwachsene, die täglich zu tausenden starben, umgebracht wurden. Und wir? Wir haben unsere Welt nicht angehalten. Auch ich habe meine kleine Welt damals nicht angehalten.

“Die Würde des Menschen ist unantastbar” – so steht es in unserem Grundgesetz. Und wir berufen uns darauf, um die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu rechtfertigen. Niemand soll über das Leben eines anderen entscheiden, wenn z.B. nicht genug Beatmungsplätze vorhanden sind. Aber wie ist es mit der Würde von Menschen in den Krisengebieten dieser Welt? Und was, wenn diese Menschen, wie z.B. 2015 zu uns wollen und hier Sicherheit suchen. 2015 war schon viel möglich aber viel eben auch nicht. Es wäre schon so oft so viel mehr möglich. Und ja, das bedeutet wie jetzt auch, dass es für uns die Privilegierten zu Einschränkungen kommt. Das ist aber Jammern auf hohem Niveau.

Die Situationen sind komplex und es gibt keine einfachen Lösungen, aber was jetzt nicht mehr geht ist das Totschlagargument “Es ist nicht möglich”.

Auch auf individueller Ebene höre ich in Psychotherapien oft, dass etwas nicht geht. Das kann man/ich nicht machen. Den unbefriedigenden ungeliebten Job aufgeben. Eine Beziehungen anfangen oder beenden, woanders hinziehen. Es sind immer die gleichen Mechanismen, die dazu führen am Status quo festzuhalten, die Unsicherheit nicht zu wagen, der Angst nicht zu begegnen, das Risiko nicht einzugehen, das Scheitern nicht zu riskieren. Manchmal zeigen Krisen, dass es auch anders, ganz anders, geht – sowohl gesellschaftlich wie auf individueller Ebene!

Lasst es uns gemeinsam möglich machen – immer wieder!