Beim Freilernen (i.S.v. Homeschooling = ohne den Besuch einer freien Schule) scheiden sich die Geister.

Für die einen geht das gar nicht. Kinder müssen in die Schule. Sie wachsen sonst isoliert in ihrer Famile auf (die im schlimmsten Fall auch noch religiös onder anders weltanschaulich dogmatisch ist), haben keine Chance außerfamiliäre Gemeinschaft und feste Freundschaften zu Gleichaltrigen zu erleben, werden schöner Erfahrungen wie Klassenfahrten beraubt, erhalten keine solide umfassende Bildung und womöglich keine Schulabschlüsse und damit keine Eintrittskarte in unsere leistungsorientierte Gesellschaft – in letztere kommen sie sowieso nicht rein, weil sie nie gelernt haben, sich einzufügen und auch mal was zu machen, was sie nicht wollen… .

Für die “Non plus ultra Fraktion” ist das Freilernen die einzig wahre Art, wie Kinder artgerecht und gemäß aktueller Erkenntnisse der Gehirn- und Lernforschung aufwachsen können. Nur wenn Kinder frei ihren Interessen und Neigungen nachgehen können, ist es ihnen möglich, ihr Potential zu entfalten und nachhaltig zu lernen. Kinder brauchen nicht unbedingt Kontakt zu Gleichaltrigen, sondern zu Menschen aller Altersgruppen, die zu Ihnen in Beziehung treten. Sie sollen nicht rein in die Leistungsgesellschaft sondern mit Spass und Begeisterung in ihr ganz eigenes Leben.

Mein Herz schlägt – ganz klar – für die Freilerner. “Die” Freilerner gibt es natürlich nicht, genausowenig wie “die” No Go Fraktion. Die skizzierten Extreme gibt es. Die meisten Menschen, denen wir begegnen, haben jedoch einen differenzierten und offenen Blick und für den möchten wir aus eigener Erfahrung auch plädieren.

Dass die allermeisten Schulen weit hinter dem zurückbleiben, was wir heute über die kindliche Entwicklung und über das Lernen wissen, ist ein unbestrittenes Faktum. Das ist tragisch und sollte dringend geändert werden. Dennoch finden viele Kinder auf solchen Schulen ihren Platz und gehen ihren Weg. Was aus meiner Sicht wirklich kritikwürdig ist, ist dass zu viele Kinder auf Schulen scheitern und Erfahrungen machen, die ihnen und ihrer Entwicklung zutiefst schaden. Kinder, die “eigen” sind, vor welchem Hintergrund auch immer, und da nicht reinpassen. Die aber passend gemacht werden – zumindest wird das versucht. Diese Kinder leiden an Schule und erleiden einen existentiellen Schaden. Sie erfahren ständig, dass sie nicht richtig sind und dass sie anders sein sollten.

 

 

 

 

 

 

Aber auch das Freilernen hat seine Schattenseiten – oder sprechen wir hier lieber positiv von “Herausforderungen “. Wie das immer so ist mit der Freiheit – sie will gestaltet werden. Manchmal wünsche ich mir, unsere Kinder gingen in die Schule und in den Kindergarten… damit wäre unser Leben gefüllt. Wenn sie dann noch in einen Verein gehen, dann ist der Alltag strukturiert und man muss sich nur noch um die Ferien kümmern. Zuerst ging unser Sohn nicht mehr zur Schule, dann wollte unsere Tochter auch nicht mehr in den Kindergarten. Sie sah glaube ich einfach nicht ein, warum sie als Einzige das Haus verlassen sollte. Plötzlich waren alle drei Kinder zuhause – immer!  … und mir dämmerte so langsam … Freilernen bedeutet nicht, dass ein Kind halt nicht zur Schule geht, sondern es betrifft uns als ganze Familie. Es bedeutet eine Veränderung unserer Lebensform. In Trier war der Alltag für mich unbefriedigend. Die meisten anderen Kinder sind tagsüber in Institutionen, die Erwachsenen arbeiten ausser Haus. Da war es tatsächlich schwierig, dafür Sorge zu tragen, dass die Kinder ausreichend Spielkameraden treffen. Auch wenn ich der Überzeugung bin, dass Kinder hauptsächlich vielfältige Kontakte zu Menschen aller Altersstufen brauchen,  so sehe ich doch, dass v.a. unser Sohn aufblüht, wenn er mit etwa Gleichaltrigen spielen kann. Und ich bin nicht unbedingt diejenige, der der Alltag viel Freude macht. Viel zuhause sein,  einkaufen, kochen, gärtnern,  das Haus gestalten, Ausflüge planen, den Tag strukturieren … erfüllt micht nicht. Ich kenne tolle andere Mütter, die das mit Hingabe machen und habe eine Zeit lang aus echter Bewunderung heraus so versucht zu sein, wie sie. Aber das hat nicht funktioniert. Wie es ja eigentlich nie funktioniert, wenn man versucht, andere zu kopieren.

Zur Zeit probieren wir das Reisen aus. Jetzt gerade sind wir mit unserem Wohnmobil am spanischen Mittelmeer. Die Fahrt hierher über die Ardeche und entlang der französischen Mittelmeerküste hat Spass gemacht. Wir haben atemberaubende Landschaften genossen und untertwegs erlebt man immer was. Die Kinder machen vielfältige Erfahrungen und lernen viel. In drei Tagen fliegt Karin nach Hause und ich besuche mit den Kindern hier ein internationales vierwöchiges Freilerner Treffen. Darauf freue ich mich schon sehr und werde sicher berichten.

Aber noch einmal zurück explizit zum Freilernen. Wir leben das sogenannte Unschooling, d.h. wir unterrichten unsere Kinder nicht. Unsere Kinder gehen ihren Interessen und Vorlieben nach und wir begleiten und unterstützen sie dabei. Und wir sorgen für eine anregende Umgebung, in der die Kinder vielfältige Erfahrungen machen und neue Interessen entdecken bzw. vorhandene Interessen erweitern und vertiefen können. Das Beitragsfoto oben z.B. zeigt eine Kaktusfeige. Auf Gomera haben wir gelernt, wie man diese von ihren unzähligen feinen Stacheln befreit und sie zubereitet. Als wir dann diese Früchte auf einem Campingplatz hier in Spanien entdeckt haben, hatten die Kinder viel Spass, sie zu pflücken und gemeinsam verzehrfertig zu machen.

Der (Selbst)Bildungsprozess der Kinder ist ein individueller. Die gelernten Inhalte und Kompetenzen sind mit dem Wissensstand von Schulkindern nicht direkt vergleichbar. Das erfordert von uns Eltern viel Vertrauen in die Kinder. Es gibt jedoch viele Erfahrungen mit inzwischen erwachsenen Freilernerkindern. Sie sind in der Lage, jeden Schulabschluss via externe Prüfung zu machen und bereiten sich selbständig auf diese vor. Haben Jugendliche einen bestimmten Berufswunsch, sind sie dazu hochmotiviert. Universitäten (hierzu gibt es v.a. Erfahrungen aus den USA) schätzen oft Studierende, die ehemals Freilerner waren. Professor/innen nehmen diese oft als überdurchschnittlich engagiert und eigenständig wahr.


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