Wir sind viel unterwegs in Kindertagesstätten sowohl in Luxemburg als  auch in Deutschland. Dabei erleben wir Kita aus zwei Perspektiven: Wir sind in der Supervision / Weiterbildung von Erzieher/innen tätig und wir sind Eltern eines Kita-Kindes.

Ein Thema begegnet uns in beiden Ländern und in beiden Rollen: Die Beziehung zwischen Eltern und pädagogischen Fachkräften  die derzeit einem großen Wandel unterliegt.

Früher war der Kindergarten ein vom Elternhaus klar getrennter Lebensraum. Eltern – meist die Mütter – waren dafür verantwortlich, die Kinder pünktlich zu bringen und abzuholen. “Elternarbeit” bedeutete:

  • Eltern an Elternabenden im “Frontalunterricht” zu informieren und zu belehren (anstatt echten Austausch zu fördern)
  • Eltern einzubeziehen, das erschöpfte sich darin, dass die Mütter eingeladen wurden, Kuchen für das Sommerfest zu backen und die Väter gebeten wurden, die Gartenbänke zu streichen (anstatt ein wirkliches Sich-Einbringen zu ermöglichen)
  • den Eltern Ergebnisse (Mal- und Bastelproduke) zu präsentieren (anstelle von Entwicklungsgesprächen, die Auskunft über die individuelle Entwicklung eines Kindes geben)
  • Einfluss auf das Erziehungsverhalten der Eltern zu nehmen (anstatt sich zu bemühen, die Eltern kennen zu lernen und ihr Verhalten zu verstehen).

“Elternarbeit” wurde also eher als “Zuarbeit der Eltern” verstanden – damit der Kindergarten und v.a. die Kinder im Kindergarten “funktionierten”.

Heute messen die Bildungs- und Erziehungsempfehlungen der Länder der Zusammenarbeit  zwischen Eltern und Erzieher/innen einen hohen Stellenwert bei. Aus “Elternarbeit” wurde “Erziehungspartnerschaft”.  Ziel ist es, jedem einzelnen Kind bestmögliche Entwicklungsbedingungen anzubieten und das Kindeswohl zu maximieren.

Dem Konzept der Erziehungspartnerschaft zugrunde liegen v.a. drei Erkenntnisse:

  • Kinder fühlen sich dann wohl, sicher und geborgen, wenn sie spüren, dass ihre wichtigsten erwachsenen Bezugspersonen miteinander verbunden sind – “Mama vertraut meiner Erzieherin, also kann ich ihr auch vertrauen” (für Kinder gibt es ein Kinderleben und keine getrennten Lebensräume …). Dabei geht es nicht darum, dass Eltern und Erzieher/innen “an einem Strang” ziehen, sondern dass sie in einer lebendigen, authentischen und respektvollen Beziehung zueinander sind. Kurz: es geht nicht um Harmonie, sondern um Beziehung!
  • Pädagogische Fachkräfte können ein Kind nur dann verstehen und auf seinem Weg hilfreich begleiten, wenn sie die familiäre Lebenswelt des Kindes gut kennen. Es sind nun mal die Eltern, die ein Kind am allermeisten prägen. Jesper Juul schreibt in seinem Buch “Familienberatung”:  “In Anbetracht des heutigen Wissens über die psychische Entwicklung des Menschen gibt es keine sachlichen Argumente mehr dafür, die Familie in Eltern auf der einen und Kinder auf der anderen Seite aufzuspalten. Natürlich werden wir noch eine Weile damit leben müssen, durch unsere Ausbildungen darauf vorbereitet zu werden, uns entweder der Kinder oder der Eltern anzunehmen … .” In der Vision von Jesper Juul sind Erzieher/innen klar Familienbegleiter/innen.
  • Eltern haben sich verändert. Sie wollen mitsprechen, sie wollen mitgestalten und sie fordern immer mehr, die individuelle Situation ihrer Familie zu beachten. Und: Eltern tun nicht mehr einfach, was von ihnen aufgrund ihrer Rolle erwartet wird. Wenn sie den Kuchen nicht backen wollen, backen sie ihn nicht. Wenn sie nicht zum Elternabend kommen wollen, kommen sie nicht. Wenn sie nicht im Garten der Kita arbeiten wollen, bleiben sie dem “Gartentag” fern. Es liegt dann nahe, von desinteressierten, bequemen und unmotivierten Eltern zu sprechen oder – O-Ton einer Erzieherin: “Es sind immer die gleichen Eltern, die sich zu Lasten der anderen Eltern vor so was drücken”. Oder ” Zu den Infoveranstaltungen kommen immer nur die Eltern, die es am wenigsten brauchen”. Bewerten ist so viel leichter, als neugierig und offen die Beweggründe des anderen zu erforschen. Bewerten ist uns auch so viel vertrauter. Die meisten von uns sind einfach in dieser Bewertungskultur groß geworden – wir alle wurden so oft bewertet und so wenig wahrgenommen und verstanden. Aber nur, wenn sich pädagogische Fachkräfte darum bemühen, gerade zu  “Fernbleibern”  eine Beziehung aufzubauen, haben sie eine Chance, diese zu erreichen – zum Wohle der Kinder.

Der Weg von der alten Elternarbeit hin zu Erziehungspartnerschaft macht also viel Sinn.

Im Konzept sind die beiden Begriffe schnell ausgetauscht – statt von “Elternarbeit” sprechen wir nun eben von “Erziehungspartnerschaft”. Im Kopf und im Handeln geht das leider nicht so schnell – da gibt es viele alte Glaubenssätze und Gewohnheiten, die erst mal verabschiedet werden müssen.  Im realen (Kita)Leben bedeutet der Austausch der Begriffe eine große Veränderung – für beide Seiten!

Das Ausmass der Veränderung wird klar, wenn man eine Definition von “Erziehungspartnerschaft” betrachtet:

„Erziehungspartnerschaft begreift die Zusammenarbeit von Eltern und Erzieherinnen in Kindertageseinrichtungen. Der Aspekt der Zusammenarbeit unterscheidet Erziehungspartnerschaft von Elternarbeit. Bei der Erziehungspartnerschaft handelt es sich nicht um einen einseitigen Informationsfluss, ausgehend von der Erzieherin
hin zu den Eltern. Erziehungspartnerschaft ist vielmehr ein partnerschaftlicher Lernprozess: Eltern und Erzieherinnen diskutieren über
Ziele und Methoden der Erziehung von Kindern, die dabei auftauchenden
Probleme und Lösungsvorschläge. Dabei bringen Eltern
und Erzieherinnen gleichberechtigt ihre spezifischen Kompetenzen
für das Kindeswohl in die Erziehungspartnerschaft ein.“
nach: Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge, 1997

Gemeinsam lernen bedeutet: Sowohl Eltern als auch Erzieher/innen sind Lernende! Früher hatten die Erwachsenen klare Werte, Erziehungsziele und Erziehungsmethoden. Von diesen waren sie überzeugt. Sie haben sich nicht in Frage gestellt. Und alle teilten die gleichen Vorstellungen und Werte. Heute wissen wir, wie wenig wir wissen. Es gibt so viel neues Wissen und neue Erkenntnisse über die Entwicklung von Kindern. Es gibt so viel zu lernen. Und die eigene Begrenztheit und Unsicherheit wahrzunehmen und sich auf den (Lern)Weg zu machen, wird heute als Ausdruck von Selbstbewusstsein, als Stärke, betrachtet. Von den Kindern fordern wir immer, voneinander und miteinander zu lernen – “spielt doch zusammen!”. Wir Erwachsenen gehen ihnen da selten mit gutem Beispiel voran. “Spielt doch zusammen, Eltern und Erzieher/innen!. Tauscht euch aus über eure Wahrnehmungen vom Kind, über eure Erziehungsziele und -methoden, über die dabei auftretenden Schwierigkeiten und Fragen”.

Damit aus der erst mal leeren Worthülse eine echte, gelebte Erziehungspartnerschaft wird, müssen sich beide Seiten bewegen:

Eltern müssen sich der Erziehungpartnerschaft öffnen.  Sie müssen es wagen, sich mit ihren Gefühlen, Bedürfnissen, Werten und Überzeugungen zu zeigen. Sie müssen wissen wie wichtig es ist, ihre Familiensituation transparent zu machen und Belastungen nicht zu verschweigen. Sie müssen offen über die Beziehung zu ihrem Kind sprechen – über das, was gelingt und über das, was schwierig ist. Und sie müssen sich von alten Gewohnheiten verabschieden, z.B. “mein Part ist, mein Kind morgens in die Kita zu bringen und es am Abend wieder abzuholen”. All dies tun Eltern nur auf der Basis einer vertrauensvollen Beziehung – d.h. wenn sie sich wahrgenommen, akzeptiert und verstanden fühlen.

Pädagogische Fachkräfte müssen bereit und fähig sein, zu Eltern eine Beziehung aufzubauen. Das bedeutet: sie müssen persönlich werden, sie müssen sich zeigen, mit ihren Gefühlen, Bedürfnissen, Wahrnehmungen, Werten und Überzeugungen. Sie müssen diese in einer persönlichen Sprache im Kontakt mit den Eltern ausdrücken lernen. Achtung: Persönlich bedeutet nicht privat. Ein/e Erzieher/in darf gerne ihre Privatsphäre schützen, aber sie darf ihre Person nicht hinter einer Rolle verstecken. Und: Pädagogische Fachkräfte müssen Interesse zeigen für die Gefühle, Bedürfnisse, Werte und Überzeugungen der Eltern – z.B. für deren Erziehungsziele, für deren Erziehungsstil, für ihre Familiensituation …. . Auch das bedeutet nicht eine Verletzung der Privatsphäre der Familien. Es ist die Voraussetzung für Kontakt und Beziehung.  Damit Erzieher/innen die eigene (Fach)Persönlichkeit weiter entwickeln können, müssen Träger und Leitungen hierzu Möglichkeiten bieten. Darüber hinaus müssen Pädagogische Fachkräfte bereit und fähig sein, ihre Arbeit transparent zu machen – warum sie was wie tun – und welche Schwierigkeiten dabei auftreten.

Uns ist echte Erziehungspartnerschaft ein großes Anliegen. Uns ist es wichtig, die pädagogischen Fachkräfte zu kennen, mit denen unsere Kinder einen großen Teil wichtiger Jahre verbringen. Uns ist es wichtig, mit den Erzieher/innen der Kita unserer Kinder in lebendiger und authentischer Beziehung zu sein. Uns ist es wichtig, dass die Lebenswelten unserer Kinder miteinander verbunden sind.

Deshalb haben wir uns entschieden, uns dafür zu engagieren. Damit unser Engagement einen Rahmen hat und in Austausch mit anderen interessierten Eltern passiert, haben wir uns in den Elternausschuss wählen lassen.

Unsere Vision

Kitas sind ein gemeinsamer Lebensraum von Kindern, pädagogischen Fachkräften und Eltern. In diesem Lebensraum findet jeder seinen Platz und erlebt sich als wertvoller Teil der Gemeinschaft.  Die Erwachsenen übernehmen die Verantwortung für sich selbst und für die Qualität der Beziehungen zu den Kindern. Diese Beziehungen zeichnen sich durch Gleichwürdigkeit, Respekt und Authentizität aus. Die eigenen Bedürfnisse und Grenzen werden so vertreten, dass die Integrität und Würde des Anderen gewahrt bleibt.

Unsere Mission = was werden wir konkret tun, um unserer Vision eine Chance zu geben, in “unserer” Kita Realität zu werden? Was werden wir tun um gelebte Erziehungspartnerschaft in den Einrichtungen in denen wir arbeiten ein Stück mehr zur gelebten Realität werden zu lassen?

Etwas haben wir schon getan – wir haben diesen Blog-Beitrag geschrieben. Und wir haben auf unserem Blog eine neue Rubrik namens “Erziehungspartnerschaft” eröffnet. Dort werden wir den Prozess dokumentieren. Dieser Beitrag bildet den Auftakt. Wir laden alle Eltern und pädagogischen Fachkräfte (gerne auch Eltern und pädagogische Fachkräfte anderer Kitas!) dazu ein, über die Kommentarfunktion (oder über Gastbeiträge auf dem Blog)  ihre Perspektive, ihre Meinung, ihre Bedürfnisse … einzubringen. Gerne kritisch, gerne kontrovers, gerne weiterführend, gerne natürlich auch anerkennend und wertschätzend. Wir freuen uns auf einen lebendigen Austausch!

Literatur:

Andrea Gerth: Auf dem Weg zur Erziehungspartnerschaft

Heidi Vorholz & Malte Mienert: Von der Elternarbeit zur Erziehungspartnerschaft

Martin R. Textor: Elternarbeit – auf dem Weg zur Erziehungspartnerschaft