Die Wilde 9 habe ich im letzten Blogbeitrag bereits vorgestellt. Es handelt sich um einen Kindergarten, der sich durch seine Beziehungsorientierung auszeichnet. Seit Jahren entwickeln die Erzieher/innen die Qualität ihrer Beziehung zu den Kindern weiter und ihre eigene (Fach)Persönlichkeit.
Bezüglich Bildung und Lernen folgt die Wide 9 dem Konzept der vorbereiteten Umgebung. In dieser können die Kinder ihren eigenen Interessen und Impulsen frei nachgehen. Die Erzieher/innen verstehen sich als Begleiter der individuellen Lernprozesse.
Dem Konzept der vorbereiteten Umgebung liegt die Überzeugung zugrunde, dass die Kinder – einem inneren Fahrplan folgend – selbsttätig für ihre Entwicklung sorgen. Die moderne Pädagogik spricht von selbstbestimmtem Lernen oder auch von Selbstbildungsprozessen. Im Rahmen ihrer Selbstbildung wählen die Kinder genau diese Tätigkeiten bzw. Spiele, die ihnen gerade besonders weiterhelfen, einen anstehenden Entwicklungsschritt zu gehen und eine Fähigkeit zu entwickeln. Selbstbildungsprozesse folgen einem inneren Fahrplan. Dieser innere Fahrplan des Kindes ist viel weiser als pädagogische Wochenpläne. Der innere Fahrplan weiß viel besser, was das Kind gerade braucht, welche Erfahrungen es machen muss, damit es in seiner Entwicklung voranschreiten kann (siehe auch unseren Blogbeitrag “Spass- und Bildungsräume”). Deshalb ist es günstig, wenn Erwachsene mit pädagogischen Angeboten wie die klassischen Stuhlkreise oder die angeleiteten Bastelaktivitäten (alle basteln das Gleiche zum Muttertag …) einen zurückhaltenden Umgang pflegen . Gesunde Kinder kommen in einer ausreichend anregungsreichen Umgebung selbständig ins Tun – und es ist sinnvoll, sie dabei möglichst wenig zu stören bzw. sie in ihrem Tun zurückhaltend zu begleiten.
In der Wilden 9 finden die Kinder ein vielfältiges Raum- und Materialangebot. Da gibt es einen riesigen naturnah gestalteten Garten mit Wasserpumpe bei der Sandgrube, mit Bäumen zum Kletten, mit einer Feuerstelle auf der im Herbst regelmäßig Bratäpfel und Stockbrot gegrillt werden und mit Tieren – im Garten befindet sich ein großer Kaninchenstall und angrenzend eine Weide mit Schafen. Im Haus dient ein Raum als Werkstatt und als Atelier. Die Werkstatt ist mit richtigem Werkzeug bestückt und schon 3jährige dürfen z.B. mit scharfen Messern schnitzen oder sägen. Weiter gibt einen Bewegungs- und einen Rollenspielraum. Der Hauptgruppenraum ist unterteilt ist unterschiedliche Bildungsbereiche – Buchstaben, Messen & Wiegen, Bauen & Konstruieren, eine mit Sand gefüllte Wanne, eine mit getrockneten Bohnen gefüllte Wanne zum Füllen, Schütten und Umschütten …. um nur einige ausgewählte Beispiele zu nennen … und … das habe ich zuhause sofort in die Tat umgesetzt: Ein Kokeltablett!
Ein Kokeltablett? Es besteht aus einem Metalltablett, einer kleinen Metallschüssel, einem Kerzenhalter mit Kerzenstummel, einem Kerzenlöscher, Streichhölzer und einem Schaber.
Kinder können hier auf begrenztem Raum und mit begrenztem Zubehör mit Feuer experimentieren. Bei uns ist das Kokeltablett derzeit das Highlight … unser 6jähriger Sohn wacht morgens mit den Worten “Mama, darf ich kokeln?” auf … und es ist auch das erste, was er nach dem Kindergarten tun will. Immer, wenn eine von uns ihn dabei begleiten kann, darf er. Er hat sich bisher nie getraut, ein Streichholz anzuzünden … beim Kokeln hat er diese Angst überwunden … . Wir sind immer wieder erstaunt, wie konzentriert er kokelt und wie lange er engagiert bei der Sache bleibt … oft bis zu einer Stunde. Auch unsere 3jährige darf kokeln und hat einfach viel Spaß dabei das Streichholz oder die Kerze auszublasen bzw. die Flamme mit dem Kerzenlöscher zu löschen.
Hier ein paar Eindrücke:
… aber vorher eine kleine aktuelle Anekdote: heute haben wir einen Ausflug in einen Freizeitpark gemacht. Unser Sohn durfte einen Freund mitnehmen. Auf der Rückfahrt erzählte dieser, dass er abends zuhause fernsehen darf. Wir haben keinen Fernseher. Unser Sohn antwortete dem Freund: “Dafür habe ich das Kokeln” …
So, aber jetzt endlich die fotografischen Eindrücke:
05.11.2014: 2 Monate Kokelerfahrung … wir sind immer wieder erstaunt, wie ruhig die Kinder beim Kokeln werden und wie entspannt sie danach sind. Es scheint eine kindgerechte Form der Kerzenmeditation zu sein … . Inzwischen nutzen wir das gezielt. Wenn die Kinder aufgedreht und etwas ausser sich sind, dann laden wir sie ein, zu kokeln.
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Echt toll, euer Blog!!!
Liebe Grüße, Susanne & Andreas
Schöne Idee!
Eure Begeisterung von der Woche kommt rüber.
Alegría