Unseren Urlaub an der Ostsee verbanden wir mit dem Besuch eines pädagogischen Seminars bei Greifswald.
Bei einer Weiterbildung von familiylab zum Thema “Beziehungskompetenz im pädagogischen Alltag” lernte ich Karen Reitz-Koncebovski und Patrice Hübsch kennen. Beide erzählten von einer geplanten Schulgründung auf der Basis ihrer Bahá`i-Religion – und sie erzählten von pädagogischen Seminaren in Vorbereitung der Schulgründung. Ich googelte Bahá`i und fand u.a. heraus, dass diese Religion Erziehung und Pesönlichkeitsentwicklung einen hohen Stellenwert beimisst. Um noch mehr darüber zu erfahren, habe ich Karens Buch “Edelsteine ans Licht bringen” gelesen. Unser Interesse war geweckt und so fuhren wir nach Greifswald und nahmen an dem Seminar teil.
Seit drei Jahren treffen sich hier im Kontext der Gründung einer Freien Schule an Erziehung interessierte Menschen. Sie verbringen gemeinsam eine Woche in einem Ferienhaus und reflektieren pädagogische Themen auf der Basis der Bahá`i-Religion und unter Einbezug der Gedanken von Maria Montessori, Jesper Juul, Gerald Hüther und Romano Guardini.
Im Mittelpunkt der diesjährigen Seminarwoche stand das Thema Persönliche Verantwortung & gesunde Beziehungsstrukturen im pädagogischen Wirken. Konkret ging es um die Gestaltung gleichwürdiger und respektvoller Beziehungen zu Kindern und Erwachsenen – und um die Entwicklung der eigenen (Fach)Persönlichkeit, um dazu in der Lage zu sein.
Ein gleichwürdiger und respektvoller Umgang mit Kindern – worüber wir im Seminar diskutierten, wurde im 2 km entfernten Kindergarten Die Wilde 9 gelebt. Vor über 10 Jahren haben begeisterte Eltern Die Wilde 9 gegründet. Ein zentraler Wert des Kindergartens ist die Qualität der Beziehung zu den Kindern. Die Kinder sollen eine verlässliche Nähe erfahren – “diese Nähe ist gekennzeichnet durch Respekt und Achtung ihrer Integrität” (www.kindergarten-wilde9.de).
Anja Niemand und Johannes Schmid, die die Wilde 9 einst mitgründeten und beide dort arbeiten, waren ebenfalls Teilnehmerinnen des Seminars.
Einen Tag haben wir in den Räumen des Kindergartens gearbeitet, an einem Abend haben wir dort im Garten Stockbrot gegrillt und an anderen Tagen haben wir im Seminarhaus Videoaufnahmen aus der Wilden 9 genossen und reflektiert.
Eine Szene hat mich besonders beeindruckt und berührt. Ein ca. 4 Jahre alter Junge sollte ein Spiel aufräumen. Er wollte nicht. Er wollte sofort mit einem neuen Spiel beginnen. Anja begleitet den Jungen – klar, freundlich, persönlich, direkt – “Ich möchte, dass du aufräumst” – “Nein, ich lasse dich kein neues Spiel beginnen”. Der Junge entfernt sich, möchte sich neues Spielzeug nehmen. Anja wiederholt ihre beiden Sätze. Das Ganze erstreckt sich beinahe über eine Dreiviertelstunde. Der Junge bewegt sich im Raum. Wenn er sich ein Spiel nehmen möchte, fallen immer wieder mal die beiden Sätze in geringen Varianten. Keine Eskalation. Keine Androhung von Konsequenzen. Keine Bewertung. Kein Druck. Auch: Keine Erklärung. Am Ende räumt das Kind auf. Es wirkt gelöst dabei, friedlich, in Übereinstimmung damit.
Wenn das gelingt, dass Erwachsene die Führung übernehmen und ihre Bedürfnisse vertreten – und dabei die Würde und Integrität des Kindes wahren – dann beginnt eine neue Beziehungskultur. In der Wilden 9 ist sie längst gelebter Alltag – im Bewusstsein, dass jede Kultur gepflegt und weiterentwickelt werden will.
Liebe Anja, lieber Hannes – so schön euch kennengelernt und in eurem Wirken erlebt zu haben. Lieben Dank für die nährenden Bilder, Gedanken und Eindrücke, die noch so lebendig in mir nachklingen. Und lieben Dank für die vielen Inspirationen – einige davon, werde ich in weiteren Blog-Beiträgen vorstellen.
Liebe andere Seminarteilnehmer/innen – das war eine gute Woche bei euch! Ich bin erfüllt und bereichert nach Hause gefahren. Herzlichen Dank für eure Offenheit, für so viele schöne Begegnungen und für die wertvollen Inhalte!
Bis nächstes Jahr. Wir kommen wieder!
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Liebe Susanne,
vielen Dank für diesen wunderschönen Bericht. Vor allem die Szene mit Anja hast Du sehr gut beschrieben und die Atmosphäre auf den Punkt gebracht. Diese Szene des freundlichen “Stalkings”, in der Anja so bei sich und ihrem Vorhaben bleibt, für die Einhaltung der Ordnung zu sorgen, ohne dem Kind etwas “beibringen” zu wollen, hat mich auch zutiefst beeindruckt.
Ich bin gespannt schon auf eure weiteren Blogs.
Liebe Grüße auch an Karin
herzlichst
Robert
Liebe Susanne- auch ich bin sehr gerührt- wie gut tut es, auch als “Erwachsene” gesehen zu werden- vielen Dank.
Ich bin in Gedanken bei euch und freue mich über ein Wiedersehen mit euch!
Ich bin gespannt auf weitere Beiträge.
Liebe Grüße an euch alle!
Anja
Liebe Suzanne!
Das hört sich sehr interessant an. An so einem Seminar würde ich auch gern teilnehmen. .. vielleicht nächstes Jahr. ..
warum wird nichts geklärt? Ich kann mich gut eindenken dass es gut ist nicht zu viel zu sagen dazu aber willen die Kinder auch nicht wissen warum?
Lg Rianne
Liebe Rianne, vielleicht schreibt Anja ja noch, warum sie dem Kind nicht erklärt hat, warum es sein Spiel aufräumen soll, bevor es ein neues beginnt – ich kann mir folgende Gründe vorstellen:
– das Kind weiß bereits warum
– das Kind ist emotional woanders, dann kommt eine Erklärung nicht an
– das Kind fragt nach keiner Erklärung
– es braucht keine Erklärung “Ich will … ” = es ist mir jetzt sehr wichtig … reicht als Grund
– Erklärungen bergen die Gefahr, dass Kind von meiner Meinung überzeugen zu wollen, es soll die Welt mit meinen Augen sehen, es soll “einsehen”, dass …
Lieben Dank für Deinen Kommentar und herzliche Grüße,
Susanne