Vor drei Jahren haben wir ein altes Haus gekauft und es in zwei Etappen renoviert/saniert. Wir haben quasi entkernt, während wir darin gewohnt haben. Auch eine spannende Erfahrung. Irgendwann reicht es dann aber mit dem Geld ausgeben fürs Haus – Frau hat schließlich auch andere Interessen. Abgesehen davon, dass irgendwann auch kein Geld mehr da ist. Bei uns war dieser Punkt beim Treppenhaus erreicht. Das Haus war schön sauber renoviert und innen und außen neu eingekleidet. Nur das Treppenhaus zierte noch eine alte usselige Treppe und blanke Rigipswände.

Wir haben gemerkt, dass das, was wir für eine Renovierung des Treppenhauses an Geld investieren müssten, uns nicht den entsprechenden Gegenwert an Lebensqualität bringt. Also haben wir uns dagegen entschieden. Aber schön war´s so nicht und darunter leide ich v.a. sehr schnell – ich habe einem ausgeprägten Sinn für Ästhetik und Schönheit. Also bin ich kreativ geworden.

Hilfreich war, dass ich mit Noel Pippi Langstrumpf gelesen habe – wir bekamen Lust auf eine Villa Kunterbunt. Also strich ich jede Wand vom Treppenhaus und auch jede Wand der Flure im Erdgeschoss und in der ersten Etage in einer anderen Farbe – gelb, orange, rot, lila, grün … .Das passte auch super zu dem, was ich so im Alltag mit den Kindern realistisch schaffen kann – eine einzige Wand streichen. Ein überschaubares Projekt, an dem ich die Kinder gut beteiligen kann. Und ich bin grad begeistert von meiner Politik der kleinen Schritte – jeden dritten Tag eine gestrichene Wand macht ziemlich schnell ein gestrichenes Treppenhaus. Während wenn ich denke: Ich will das Treppenhaus streichen – mich allein der Gedanke schon überfordert – wie soll ich das denn nur schaffen? Da fängt frau doch gar nicht erst an … .

Dann gestaltete ich die einzelnen Wände. Im Erdgeschoss dient eine große Wand direkt hinter der Eingangstür als Malwand. Wann immer Farbe übrig ist, spielen wir hier mit dem Rest und bemalen die Wand (inspiriert von Arno Sterns “Malspiel” – obwohl der was anderes damit meint – aber das Wort ist schön).Für die Kinder hängen hier immer zwei großformatige Papiere – die einladen, tätig zu werden. Macht nix, wenn sie ein bischen danebenmalen – ist ja die Malwand. An der Wand gegenüber steht ein Regal mit allem, was man in einem Atelier so braucht. In kleinen Holzkisten befinden sich unterschiedliche Farben: Alpina Color Farben, Gouache, Aquarellfarben, Wasserfarben, ein Farbkasten zum Schminken, Holzfarben, Wachsmalstifte, Fingerfarben, Pastell-Ölkreiden, Stempel & Stempelkissen und Filzstifte. Das sind viele Sorten – toll unterschiedliche Farben da zu haben. Das hat sich schon oft als nützlich erwiesen. Für die Kinder schränken wir die Auswahl im Alltag allerdings ein. Sie malen mit Gouache, wenn sie mit dem Pinsel malen. Ansonsten nutzen sie dicke Holzfarben, Wachsmalstifte und Noel schon auch mal Filzstifte.  Weiter finden sich in diesem Regal Scheren, Klebeband, unterschiedliche Papiersorten und -größen, Pinsel und kleine Töpfchen für Farbe. Aus dem Kinofilm “Alphabet” haben wir von Arno Stern die Anregung übernommen, für jede Farbe einen Pinsel bereitzustellen. Dann müssen die Kinder, wenn sie die Farbe wechseln, den Pinsel nicht auswaschen und die Farben bleiben klar.

Die gegenüberliegende Wand haben wir mit unterschiedlichen Stempel- und Wischtechniken gestaltet.

Das ist jetzt also unser Eingangsbereich – er empfängt jeden bunt und fröhlich.

Eine orangefarbene Wand beim Treppenaufstieg nutze ich als Ausstellungsfläche. Kleine Kunstwerke der Kinder hängen hier in Bilderrahmen unterschiedlicher Farben und Größe. Und die Kinder finden es toll, dass ihre Werke so gewürdigt werden und betrachten sie immer wieder.

Eine kleine grüne Wand beklebte ich mit einem Poster, das ich gekauft habe, als ich mit Noel “Das Dschungelbuch” im Trierer Stadtheater gesehen habe. Drumherum klebte ich thematisch passende Elemente. Eine schöne Erinnerung an unseren Theaterbesuch.

Eine Wand des Treppenaufstiegs  zum ersten Stock bietet Platz für inzwischen 5 große Bilderrahmen mit Fotos von unserem Jahreskreis – ein schöner Rückblick auf die letzten 5 Jahre. Auch davor bleiben wir oft stehen und erinnern uns.

Für eine Wand zum Dachgeschoss nutze ich große Kunstwerke der Kinder als Tapete. Wenn die Kinder an der Malwand auf große Papiere gemalt haben, sprühe ich diese mit einem Sprühkleber ein und fixiere sie dauerhaft auf die Wand.

Inzwischen gefällt mir das Treppenhaus richtig gut. Darüber freue ich mich natürlich. Was ich aber viel wichtiger finde. Über diese Aktion hat die Kreativität bei uns Einzug gehalten. Wir sind jetzt viel öfter schöpferisch tätig – und das nicht nur im Kopf mit Worten und Gedanken – sondern ganz materialistisch mit Werkzeug, Pinseln, Farben … .

Jesper Juul und Peter Hoeg beschreiben in ihrem Buch “Miteinander; Wie Empathie Kinder stark macht” Kreativität als eine Grundkompetenz, die man durch Übung trainieren kann und auch sollte. Eine der Übungen, die sie beschreiben, ist ganz simpel:

  • etwas tun, das traditionell als kreativ bezeichnet wird
  • sich bewusst machen, dass man etwas Schöpferisches tut
  • sich die Zeit nehmen, sich darüber zu freuen, dass man ein Mensch voller Erfindungsreichtum ist

Zu dieser Übung sagen Juul und Hoeg:

“Diese Übung weist auf Teile des Fundaments hin, auf dem unsere Kreativität ruht. Durch sie kann man erfahren, dass der Erfindungsreichtum uns spontan durchströmt und man sich für neue Ideen – wenn man genau nachspürt – gar nicht anstrengen muss, sondern sie einfach nur zulassen muss. Und man wird erkennen, dass die Arbeit, sein eigenes Leben immer wieder zu erneuern, eigentlich nur darin besteht, sich von den Anspannungen und Blockaden zu befreien, die unserer spontanen Kreativität den Weg versperren.”

Und: “Wenn man sich länger mit den Übungen zur Kreativität beschäftigt erkennt man, dass wir alle mit einer Bereitschaft zu unablässiger Erneuerung ausgestattet sind, sprachlich, motorisch, zellulär – mit unserem ganzen Selbst.

 

 

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