Um es gleich vorwegzunehmen: Ich liebe unsere Welt, genau so wie sie ist und lebe ausgesprochen gern in ihr. Ich liebe auch ihre Lautheit – womit ich natürlich nicht die Dezibelstärke meine, sondern die Fülle an Anregungen, Möglichkeiten und Informationen. Jede Zeit bringt ihre eigene Herausforderung mit sich.

Die Herausforderung unserer Zeit  besteht für mich darin, einen bewussten Umgang mit drei Dingen zu pflegen:

  • mit den Werten unserer Leistungs- und Wettbewerbsgesellschaft (höher, schneller, weiter, besser, mehr … mehr Karriere, mehr Geld, mehr Selbstverwirklichung … )
  • mit der Dynamik unserer Konsumgesellschaft (Genug ist nie genug … es gibt immer noch Dinge, die wir noch nicht haben / gesehen haben / erlebt haben / getan haben …  und die uns – endlich – wirklich glücklich und zufrieden machen würden … )
  • mit der Flut an Außenreizen und Möglichkeiten der Ablenkung (es gibt immer was zu verpassen … )

Als Erwachsene/r ist es spannend, sich hier zu positionieren und einen selbstbestimmten Umgang mit diesen Dingen zu finden. Kinder können das nicht. Unsere Kinder müssen wir hier entschieden schützen. Wir müssen sie schützen vor dem Förderwahn, der immer früher ansetzt und der a) immer mehr aus den Kindern herausholen und sie b) immer mehr normieren will. Wir müssen sie schützen vor einer Konsumgesellschaft, die gezielt die Kinder im Visier hat und sie früh darauf eicht, das Glück von materiellen Dingen zu erwarten – anstelle von lebendigen Beziehungen und von einem reichen Innenleben. Und wir müssen unsere Kinder schützen vor Überstimulation – von dem ständigen beschäftigt werden durch Reize/Angebote von außen. Nach Jesper Juul sind “die meisten europäischen Kinder … heutzutage extrem von äußeren Reizen abhängig, die sie gestresst, selbstgefällig, nervös und unkonzentriert machen”.

Im Grunde geht es um drei Dinge:

  1. Wir müssen den Kindern helfen, nach intensiven Erfahrungen – und dazu gehören z.B. ein ganz normaler Kita-Tag, ein Ausflug in den Zoo, der Besuch mit der verletzten Katze beim Tierarzt – zur Ruhe zu kommen, und sich zu entspannen.
  2. Wir müssen die Kinder dabei unterstützen, solche Erfahrungen zu vertiefen – sei es im Gespräch, im Spiel, im wiederholten Tun … .
  3. Wir müssen dafür sorgen, dass die Kinder ausreichend Zeit und Ruhe haben, um  aus sich selbst zu schöpfen – eigene Ideen haben und verwirklichen.

Hier einfach ein paar Beispiele aus unserem Alltag. So entschleunigen wir, so schaffen wir Raum für Entspannung und Vertiefung.

  • Wir gehen den Tag sehr ruhig an. Das ist eine feste Größe in unserem Alltag geworden. Und wir genießen das – noch haben wir kein Schulkind … . In der Regel wachen wir gemeinsam in unserem Familienbett auf. Oft möchten die Kinder noch liegen bleiben und kuscheln. Dann gehen wir runter ins Wohnzimmer, wo wir eine halbe bis eine Stunde gemeinsam in der Sofaecke verbringen. Ich trinke Kaffee, die Kinder bekommen ein Milchfläschchen. Obwohl sie längst aus dem Fläschchenalter raus sind, genießen sie das morgens sehr. Und die Milch stillt das erste Hungergefühl. Das ermöglicht ein spätes Frühstück. Wir lesen, erzählen, kuscheln … die Kinder beginnen irgendwann zu spielen.
  • Unser ruhiger Tagesbeginn bringt mit sich, dass wir meist spät in den Tag starten. Zwischen 10:00 Uhr und 12:00 Uhr geht Noel in seine Kita. Er kann gehen, wann er möchte. Damit hat er auch die Kontrolle darüber, ob er lieber alleine bzw. mit seiner Schwester zuhause spielt oder in der trubeligeren Kita. Manchmal passt das eine besser für ihn, manchmal das andere. Selten mal möchte er den ganzen Tag zuhause bleiben. Genauso selten zieht er sich nach dem Aufstehen ruckzuck an und will sofort in die Kita. Aber beides ist möglich und wird auch ab und an gemacht. Ich bin immer wieder erstaunt, wie kompetent er das regelt und wie gut er spürt, was er gerade braucht.
  • Genauso kompetent reguliert er selbst, wann er abends schlafen geht. Oft geht er erst sehr spät schlafen (zwischen 22:00 Uhr und 23:00 Uhr). Dafür macht er alle paar Tage einen langen Mittagsschlaf. Wir lassen ihn – v.a. weil wir beobachten, dass er gerade abends oft sehr “bei sich” ist und ganz versunken spielt, malt oder etwas bastelt. Der Abend scheint “seine” Zeit zu sein. Er spielt, legt sich irgendwann im Wohnzimmer aufs Sofa und schläft ein. Wir nehmen ihn dann mit ins Bett. Das bedeutet nicht, dass wir es allgemein für gut halten, Kinder selbst entscheiden zu lassen, wann sie schlafen gehen. Manche Kinder brauchen vielleicht, dass die Eltern einen engeren Rahmen setzen. Manche Eltern brauchen vielleicht, dass die Kinder abends im Bett sind. Wir ermutigen nur immer, auf das individuelle KInd und auf die eigenen Bedürfnisse zu gucken und sich ggf. frei zu machen von verinnerlichten Überzeugungen wie die, dass Kinder abends ins Bett gehören und zwar zu einer Zeit, die die Eltern vorgeben. Kinder können oft mehr, als wir ihnen zutrauen.
  • Die Kleine macht mit ihren bald drei Jahren noch jeden Tag ihr Mittagsschläfchen. Beim Schreiben dieses Blog-Beitrages habe ich mich entschieden, mich wieder öfter mit ihr hinzulegen (vs. in dieser Zeit produktiv sein, WICHTIGE DINGE erledigen, endlich etwas FÜR MICH tun …). Dabei – was könnte “wichtiger” und was könnte mehr “für mich” sein? Ich genieße es, neben ihr zu liegen und gemeinsam mit ihr aufzuwachen. Es entspannt mich und ich starte ausgeruht in die zweite Tageshälfte. Mariella genießt es, dass ich neben ihr liege.
  • Freizeitangebote wie Freizeitpark, Schwimmbad, Zoo, Kino, Theater, Zirkus, “Trier spielt”, Indoor-Spielplatz, Center Parcs ….es ist unglaublich und auch toll, was man heute mit Kindern alles unternehmen kann ….  nutzen wir wenn, dann mit viel Spaß, aber sehr sehr dosiert. Viele Wochenende verbummeln wir einfach zu Hause. Jeder von uns macht dann so seins und natürlich machen wir auch das ein oder andere zusammen. Als Outdoor-Aktivitäten haben wir das Wandern und auch gemeinsame Radtouren entdeckt.
  • Wenn wir Freizeitparks etc. besuchen, dann oft nach dem Motto “Wir machen alles zweimal”.  Diese lieb gewonnene Tradition hat ihren Ursprung in Klotten bei Cochem. Auf unserer Radtour von Trier nach Koblenz haben wir in Klotten den Freizeitpark besucht. Da wir in Cochem 2 Tage Station gemacht hatten, stellte sich die Frage “Was machen wir am 2. Tag?”. Da es uns im Freizeitpark gut gefallen hatte, haben wir entschieden, diesen einfach nochmals zu besuchen. Und das war wirklich toll. Wir kannten uns schon aus und haben die Sachen nochmal gemacht, die uns am besten gefallen hatten. Noel hatte sich am 1. Tag ein Fahrgerät ausgesucht, mit dem zu fahren er sich dann aber doch nicht getraut hatte. Am 2. Tag hat er es dann geschafft – und hat den ganzen Tag kaum etwas anderes gemacht – voller Stolz und Freude über die überwundene Angst. Vor ein paar Wochen waren wir in Stuttgart und haben an zwei Tagen die Wilhelma (Zoo) besucht. Zuhause habe ich die Fotos der meisten Tiere ausgedruckt und an die Magnettafel beim Esstisch angebracht. So bemühen wir uns, besondere Erfahrungen zu vertiefen / zu erweitern anstatt sie gleich durch das nächste Event zu überlagern.
  • Noel haben wir mit seinen 5 Jahren ganz bewusst noch in keinem Sportverein, Musikunterricht oder sonst einem Kurs angemeldet. Er besucht die Kita und ist vollauf mit dem Angebot dort und mit den Freundschaften, die er in der Kita geknüpft hat, beschäftigt. Die Abende und die Wochenenden braucht er, um zur Ruhe zu kommen und das Erlebte zu vertiefen. Und er braucht Zeit, um seine Freunde besuchen zu können bzw. selbst Besuch zu bekommen.
  • Wir haben keinen Fernseher.
  • Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf funktioniert bei mir nicht. Meine Tage sind ausgefüllt damit,für drei halbwegs ausgewogene Mahlzeiten zu sorgen, Haus und Garten zu gestalten und zu pflegen, Feste vor- und nachzubereiten, mit den Katzen zum Tierarzt zu fahren, einzukaufen … .  Meine Tage sind ausgefüllt damit, mit den Kindern zu SEIN, ihr Ansprechpartner zu sein, sie zu unterstützen und zu begleiten, mich an und mit ihnen zu freuen und Spaß mit ihnen zu haben.  Meine Tage sind ausgefüllt damit, immer noch – nach 5 Jahren – in mein Mutter-Sein hineinzuwachsen, meine Beziehung zu den Kindern achtsam wahrzunehmen, mich weiterzuentwickeln um ihnen gerechter zu werden … .  All das macht mir Freude und erfüllt mich. Mein Beruf macht mir auch Freude und erfüllt mich. Aber wenn ich mich beruflich engagiere komme ich unter Druck – ich muss dann die Kinder oft “wegorganisieren” und zuhause bleibt vieles liegen. Den Druck, den ich habe, hat dann die ganze Familie. Ich habe den Wiedereinstieg abgebrochen und wir leben jetzt das klassische Modell, dass Karin arbeitet und das Geld verdient und ich bei den Kindern bin und auch noch für längere Zeit sein werde. Wir sind uns der Risiken dieses Modells bewusst, aber im Moment passt das für uns einfach am besten.

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